Yael Adler

»17 Jahre Lebenszeit gewinnen«

Die Medizinerin über ihr neues Buch, einen gesunden Lebensstil und die Angst vorm Älterwerden

von Lilly Wolter  10.03.2023 12:00 Uhr

Yael Adler liefert in »Genial vital!« zahlreiche Tipps für ein gesundes Altwerden. Foto: Marcu Hoehn

Die Medizinerin über ihr neues Buch, einen gesunden Lebensstil und die Angst vorm Älterwerden

von Lilly Wolter  10.03.2023 12:00 Uhr

Frau Adler, Sie haben ein Buch über das Jungbleiben beziehungsweise Altwerden geschrieben. Warum genau über dieses Thema?
Es gibt ja schon ganz viele Anti-Aging-Bücher. Ich denke, dass man nicht noch eins vom selben Stil schreiben musste. Ich wollte etwas schreiben, was den Menschen hilft, mit möglichst wenig Krankheit durchs Leben zu kommen und die Zeit, die wir haben, gesund zu nutzen. Wenn man einen entsprechenden Lebensstil führt, kann man bis zu 17 Jahre an Lebenszeit gewinnen.

In den sozialen Medien kursiert gerade ein Filter, der einen auf einen Schlag 20 Jahre jünger aussehen lässt. Es gibt Videos, in denen Menschen mittleren Alters in Tränen ausbrechen beim Anblick ihres jüngeren Ichs. Warum ist Altwerden so eine emotionale Sache?
Weil es an den Tod erinnert, an den Verlust der Vitalität, an den Verlust von Fähigkeiten. Und weil unsere Endlichkeit eine Kränkung ist. Die ganze Menschheitsgeschichte ist von der Sehnsucht nach dem Jungbrunnen bestimmt.

Sie sprechen in Ihrem Buch vom Altern als multifaktoriellem Geschehen. Was kann man darunter verstehen?
Es gibt nicht die eine Sache, die uns alt werden lässt, und nicht die eine Sache, die uns davor bewahrt. In der Medizin sind es immer viele Faktoren, die einen Einfluss nehmen. Es sind natürlich die Gene, aber auch die Epigenetik spielt eine Rolle – also wie die Gene verändert sind. Gerade Juden, die traumatisiert von der Schoa waren, haben dieses Trauma epigenetisch manifestiert, damit die nächsten Generationen sehr schnell informiert werden in Gefahrensituationen. Es spielen Hormone eine Rolle, die Darmflora, Mikronährstoffe, die Umwelt, Krankheiten, Schicksalsschläge, die Psyche. Blöd an diesem multifaktoriellen Geschehen ist, dass wir nicht ein einzelnes Präventionsinstrument haben. Schön ist aber auch, dass man diesem multifaktoriellen Geschehen mit vielen Antworten begegnen kann.

Für viele Menschen ist Botox eine Antwort. Was halten Sie davon?
Botox lässt einen nicht unbedingt jünger aussehen, sondern anders und, wenn man zu viel macht, maskenhaft. Ich habe es auch schon ausprobiert, ich bin neugierig gewesen. Auf Fotos sah es super aus, aber in der Mimik, in der Kommunikation hat mir etwas gefehlt. Wenn der eine traurig ist, gucken wir auch traurig oder wir lächeln aufmunternd. Wenn diese nonverbale Kommunikation durch zu viel Botox gelähmt ist, findet man den anderen schnell komisch. Dann kann es natürlich zu Missverständnissen kommen. Botox punktuell in den Muskel zu spritzen, ist aber nicht gefährlich. Es ist ein sehr sicheres Medikament, das schon lange als Arzneimittel auf dem Markt ist und zum Beispiel auch bei Kindern mit spastischen Lähmungen, für Formen der Harninkontinenz, gegen übermäßiges Schwitzen oder Augenmuskelkrämpfe verwendet wird. Irgendwann ist es in die Beauty-Industrie übergeschwappt.

Proteine, sagen Sie, sind essenziell, wenn es ums Jungbleiben geht. Warum?
Wir brauchen Eiweiß als Baustoff für das Immunsystem, für den Zellaufbau, für Hormone, für Antikörper, für Signalstoffe. Wir brauchen Proteine überall, natürlich auch für unser Kollagen, das uns straff aussehen lässt. Im Blut meiner Patienten sehe ich manchmal aber auch, dass ihr Gesamteiweiß sehr gut ist, aber die Aminosäuren, aus denen Eiweiß ja zusammengesetzt wird, nicht komplett sind. Es ist wichtig, dass alle essenziellen Aminosäuren da drin sind, damit auch alle Eiweiße aufgebaut werden können, die der Körper braucht. Wenn man ein Hühnerei isst, hat man alle nötigen Aminosäuren. Wenn man nur pflanzliches Eiweiß isst, kann es sein, dass da mal nicht alles drin ist. Es gibt aber kluge Kombinationsmöglichkeiten. Hummus mit Vollkornbrot oder Reis mit Bohnen ergeben eine sehr gute biologische Wertigkeit. Der Körper kann daraus also alles aufbauen, was er will. Es gibt eine ganze Menge Alternativen zum Fisch und Fleisch.

Stress ist Gift, heißt es. Welche Rolle spielt Stress beim Altwerden?
Stress ist eigentlich eine physiologische Geschichte. Der Körper braucht Stress, um zu flüchten und um klar zu denken in vielen Situationen, die ihn fordern. Aber der Dauerstress, den man heutzutage hat, durch Steuererklärungen, durch Lärm in der Stadt, durch Termindruck, durch einen künstlichen Tag-Nacht-Rhythmus, lässt das Cortisol ansteigen. Und das verändert die Hormonsituation im gesamten Körper. Es werden auch Botenstoffe aus gestressten Nerven ausgeschüttet. All das zusammen kann eine stille Entzündung im Körper unterhalten. Und die, weiß man, ist durchaus auch zellschädigend auf Dauer.

Wie lässt sich Stress akut und effektiv abbauen?
Mit Achtsamkeit. Ich finde dieses Wort wahnsinnig kitschig, aber es hat an so vielen Stellen eine Relevanz. Man weiß auch, dass ein geregelter Tag-Nacht-Rhythmus Stress abbaut und Bewegung natürlich auch. Es gibt aber nicht nur ein Richtig. Wir haben ja gesagt: multifaktoriell. Unabhängig davon kann Stress auch biochemische Ursachen haben. In der Darmflora mancher Patienten sehe ich manchmal, dass die Bakterienflora nicht so gut zusammengesetzt ist. Präbiotische Nahrung, Ballaststoffe, manchmal auch Nahrungsergänzungsmittel können dabei helfen, die Anti-Stress-Bakterien im Darm zu vermehren. Es lohnt sich auch, ins Blut zu gucken, um den Vitamin-D- oder Eisenspiegel zu prüfen. Manchmal, in der Menopause, brauchen Frauen auch mal eine Weile Hormone, je nachdem, wie es ihnen gerade geht.

Sie raten auch zu Vorsicht bei der Partnerwahl. Warum?
Wenn der Mann Drogen nimmt, raucht, keinen Sport macht oder übergewichtig ist, dann kann das schon in seinem Sperma, in seiner Epigenetik manifestiert sein und sich auf das Kind auswirken. Deswegen ist es auch wichtig, bevor man Kinder hat, schon auf einen gesunden Lebensstil zu achten.

Schlafen ist gesund und hält jung – das ist eine allgemeingültige Binse. Aber Sie zitieren in Ihrem Buch eine Studie, die sagt, dass zu viel Schlaf auch nicht gut ist. Was hat es damit auf sich?
Es wurde beobachtet, dass Menschen, die sehr lange schlafen, nicht länger leben. Im Gegenteil. Als Erklärung kann hier auch dahinterstecken, dass Menschen, die krank sind oder aus anderen Gründen nicht gut schlafen, mehr Schlafbedürfnis haben. Ihnen fehlen die wichtigen erholsamen Tiefschlafphasen.

In der Stammzellforschung ist es bei Mäusen gelungen, Haut und Nieren zu verjüngen. Wie realistisch ist das für Menschen in Zukunft?
Dass man Zellen zurückentwickelt, reprogrammiert auf ihren Ursprung und daraus dann zum Beispiel neue Herzzellen generiert, oder Hautzellen, das gibt es jetzt schon. Aber das als Standard-Anti-Aging-Maßnahme für den ganzen Körper und die Alltagsmedizin der Hausarztpraxis wird es nicht so bald geben. Viele denken auch, wenn sie sich irgendwelche Maßnahmen erkaufen oder spritzen lassen, dass sie dann keinen Sport mehr machen müssen und ohne Folgen rauchen oder Alkohol trinken können. Diese ganzen Lifestyle-Basics sind noch immer stärker als alle käuflichen Maßnahmen.

Sie schreiben, dass bis zu 100 Gramm Alkohol pro Woche – also 2,5 Liter Bier und fünfeinhalb 0,2-l-Gläser Wein – als teilweise herzschützend gelten. Das sind ja tolle Neuigkeiten.
Hier gibt es differenzierte und auch leider gegenteilige Effekte. Aber es stimmt. Es gibt Daten, die besagen, dass maßvolle Mengen Alkohol das Herz vor einem schweren Infarkt schützen könnten. Das darf jetzt aber kein Freifahrschein für größere Mengen sein. Wenn man bisher keinen Alkohol getrunken hat, sollte man auch nicht damit anfangen, um das Herz zu schützen, denn Bluthochdruck und ein erhöhter Herzschlag werden durch Alkohol begünstigt. Da gibt es also bessere Methoden für ein gesundes Herz. Aber ein maßvoller Genuss erscheint okay, ein Exzess auf keinen Fall. Zugleich ist Alkohol ein Zellgift und leider krebserregend. Hier sind auch schon kleinere Mengen ein potenzielles Risiko.

Eine persönliche Frage noch. Haben Sie Angst vor dem Altwerden?
Ja, vor Krankheit und den Einschränkungen des Alters – wie viele andere Menschen auch. Ich versuche aber mit meiner persönlichen Resilienz, mit Prävention und mit meinem Wissen, konstruktiv damit umzugehen. Und ich begegne dem Älterwerden auch mit Dankbarkeit und Demut, denn immerhin bin ich noch da.

Mit der Ärztin und Bestsellerautorin sprach Lilly Wolter.

Yael Adler: »Genial vital! Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung«. Droemer Knaur Verlag, München 2023, 400 S., 20 €

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