Zu spät. Einfach nur zu spät. Dabei bin ich nie zu spät. Und ausgerechnet bei einem wichtigen Termin neulich war ich dicke 27 Minuten zu spät. Zur Klarstellung: Wäre ich ein Bahnsystem, wäre ich sicherlich eine Mischung aus Japan und der Schweiz. Immer auf die Minute, manchmal sogar früher. Ich bin lieber zu früh bei Verabredungen beruflicher Natur als eben – zu spät. Das hat ganz nebenbei den Charme, dass ich Berlin immer wieder neu kennenlerne. Ich geh dann noch ein bisschen um die Häuser.
Mit Katastrophenfrisur versteckt unter einer Wollmütze, leidlich Maskara und leicht verpeilt, stieg ich in die S-Bahn Richtung Schöneberg. Ich fühlte mich so krass Deutsche Bahn. Nervös tippte ich eine Nachricht an meinen Kollegen, der mich 15 Minuten zuvor angerufen hatte und wissen wollte, warum ich ihn gefragt hatte, ob wir uns denn um eins treffen würden. Der Termin sei doch um elf. Um elf, raste es durch meinen Kopf. Durch Ereignisse am Abend zuvor hatte ich erst kurz vor Mitternacht in der Straßenbahn gesessen und war jetzt dementsprechend übermüdet. Ich hatte keinen Kater, das möchte ich für meine Augenringe und mich erwähnen!
Wäre ich ein Bahnsystem, wäre ich sicherlich eine Mischung aus Japan und der Schweiz.
Jetzt also, zwischen Friedrichstraße und Potsdamer Platz, wusste ich: Vor halb zwölf wird das nichts. Denn nicht nur war ich zu spät; ich war noch nie zuvor in dieser Gegend und habe die Tendenz, mich gern zu verlaufen. Okay, zugegeben: Das »Ich geh noch ein bisschen um die Häuser« von vorhin war ein Euphemismus für Desorientierung. Aber es klang so schön.
Anyway – kurz vor der Yorckstraße dann der Anruf: Wo ich denn sei.
Wie peinlich, dachte ich und wollte schon Antworten aus dem Verspätungsquiz der Bahn heranziehen: »Personen im Gleis«, »Verspätung durch vorausfahrenden Zug«, »Technischer Defekt« oder sonstige Leiden. Ich musste noch zehn Minuten laufen. Und wie ich das tat: Google Maps geöffnet, das erste Album von Queens of the Stone Age auf den Ohren, lange Schritte, die ich kann, seitdem ich als Stüppi samstags mit meinem großen Bruder zur Schule laufen musste, und die Stirn in Falten: So werde ich es schaffen und noch vor halb zwölf an Ort und Stelle sein. Rein in den Hinterhof, die Treppen hoch, Tür auf und: Es war drei vor halb zwölf. Das klingt besser als 27 nach elf.
Meine nicht vorhandene Statistik war durch dieses eine Mal nicht ins Wanken geraten (unangenehm war es aber zu 100 Prozent). Übrigens: Die Bahn, las ich neulich, verfolge »mit einem übergreifenden Sanierungsprogramm das Ziel, das Unternehmen bis 2027 wieder auf Kurs zu bringen«. Oberstes Ziel sei »eine Pünktlichkeit von über 75 Prozent«. Kernvoraussetzung dafür sei eine »zuverlässigere Infrastruktur«. Da ich 2025 eine Pünktlichkeit von 100 Prozent anstrebe, werde ich an Tagen vor Terminen weit vor Mitternacht schlafen gehen – der zuverlässigen Infrastruktur wegen.