Brasilien

Zwölf Weltrekorde und 13-mal Gold

»Wenn ich im Becken bin, fühle ich mich, als würde ich mich ausruhen«: Nora Tausz Rónai Foto: Julia Ronai

Man kann auch im hohen Alter noch außergewöhnliche Leistungen vollbringen. Bester Beleg hierfür ist Nora Tausz Rónai aus Rio de Janeiro. Vor einigen Wochen nahm die 98-Jährige an den Pan American Masters Championships im kolumbianischen Medellín teil. Dabei könnte man Nora Tausz Rónai durchaus als Spätstarterin bezeichnen.

Denn wettkampfmäßig in den Schwimmsport eingestiegen ist sie erst mit 69 Jahren. 1993, ein Jahr nach dem Tod ihres Ehemanns Paulo Rónai, der 1992 nach 40 Jahren Ehe verstorben war, wandte sie sich verstärkt dem Schwimmsport zu. Seitdem stellte sie zwölf Weltrekorde auf, gewann 13 Goldmedaillen, sechs davon bei der Weltmeisterschaft vor acht Jahren.

BECKEN Damals 90 Jahre alt, kündigte sie an, sie wolle aufhören – doch sie schwamm weiter. »Wenn ich im Becken bin, fühle ich mich, als würde ich mich ausruhen«, sagte sie 2020 in einem großen Interview mit dem Pariser Primo-Levi-Institut. Nora Tausz wurde 1924 im italienischen Fiume geboren, einer Stadt, die heute zu Kroatien gehört und Rijeka heißt.

Ihr Vater arbeitete in leitender Funktion bei einer ungarischen Versicherungsgesellschaft. Doch 1935 untersagte es Ungarn, Spitzenpositionen mit Ausländern zu besetzen. Zwar bot man ihrem Vater die Staatsbürgerschaft an, doch er lehnte ab – in seinen Augen wäre dies Opportunismus gewesen.

Kein Opportunismus war es für ihn, als Jugendlicher zum Katholizismus zu konvertierten. Weil er sich nur unzureichend auf seine Barmizwa vorbereitete, beschwerte sich der Rabbiner bei den Eltern des Jungen. Erzürnt über ihren Sohn, warfen sie dessen Haustier, einen Salamander, aus dem Fenster – den daraufhin eine Katze fraß. Aus Protest dagegen sagte der Junge seine Barmizwa ab und ließ sich taufen. Und so wurde Jahre später auch seine Tochter als Katholikin geboren.

Dieser Umstand sollte ihr Glück werden, als sich die politische Großwetterlage verdunkelte, sagt Nora Tausz Rónai. Die italienischen Rassengesetze von 1938 sorgten dafür, dass sie und ihre Geschwister die Schule verlassen mussten, aber sie lernten privat weiter Mathematik und Französisch mit einem Privatlehrer. 1940 kam ihr Vater und später ihr Bruder Giorgio in ein Lager. Die Rettung kam ausgerechnet von katholischer Seite. Der Vatikan hatte für konvertierte Juden 3000 Visa für Brasilien aufgetrieben und verkaufte sie. Noras Familie hatte das Glück und konnte welche erhalten, weil es einer Tante gelang, auf dem Schwarzmarkt Geld zu wechseln.

HEIRAT Als die Familie mit dem Schiff in Brasilien ankam, war Nora Tausz 17 Jahre alt. 1952 heiratete sie einen aus Ungarn exilierten Übersetzer und Kritiker, mit dem sie eine Klassenkameradin bekannt gemacht hatte. Sie bekommt zwei Kinder, macht sich als Architektin in Brasilien einen Namen und schreibt drei Bücher, darunter ein Kinderbuch und eine Autobiografie.

Obwohl mit allem Religiösen jedweder Art wenig verbunden, unterstützt Nora Tausz Rónai seit Jahrzehnten jüdische Anliegen. So schickte sie 1972 einige ihrer wichtigsten Medaillen an die israelische Botschaft in der Hauptstadt Brasilia, um sie den Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlags bei den Olympischen Spielen in München zum Trost zu schenken. Zudem pflanzte sie in Israel mehrere Bäume für den Jüdischen Nationalfonds KKL.

»Meine vielleicht jüdischste Eigenschaft ist es, Fragen zu stellen, zu denken, zu unterscheiden zwischen richtig und falsch auf der Grundlage der Ethik«, sagt sie. »Ich hatte Glück. Ich hielt durch. Ich habe überlebt.« Ihre Sicht aufs Judentum ist eher sportlicher Natur: »Ich fühle dabei dasselbe wie für mein Team.« Ihre Nachfahren haben sich dem Judentum jedoch wieder angenähert. In den nächsten Wochen feiert einer ihrer Enkel seine Barmizwa.

Interview

»Wir stehen hinter jedem Film, aber nicht hinter jeder Aussage«

Das jüdische Filmfestival »Yesh!« in Zürich begeht diese Woche seine 10. Ausgabe, aber den Organisatoren ist kaum zum Feiern zumute. Ein Gespräch mit Festivaldirektor Michel Rappaport über den 7. Oktober und Filme, die man zeigen soll

von Nicole Dreyfus  05.11.2024

Islamische Republik

Iran richtet Juden (20) hin

Die Hinrichtungswelle geht weiter - am Montag wurde ein Mitglied der jüdischen Gemeinschaft im Iran gehängt

 04.11.2024

Frankreich

Im Stich gelassen

Juden werden bedroht, angegriffen und fühlen sich vom eigenen Präsidenten verraten. Ein Stimmungsbild aus dem Land der Aufklärung, das seine größte Errungenschaft zu vergessen droht

von Sybille Korte  03.11.2024

Iran

»Unterschreib, oder du bist tot!«

Am 4. November 1979 nahmen Studenten in Teheran US-Diplomaten als Geiseln. Barry Rosen war einer von ihnen

von Michael Thaidigsmann  03.11.2024

Europa

Allianz der Israelhasser

Mit antizionistischen Positionen will ein Bündnis aus muslimischen Parteien sowohl konservative als auch progressive Wähler mobilisieren

von Mark Feldon  31.10.2024

Meinung

Die Sozialdemokraten und ihr radikaler Mittelweg

Die SP versteckt sich hinter widersprüchlichen und israelkritischen Resolutionen

von Nicole Dreyfus  29.10.2024

USA

Modisch und menschlich

Seit 25 Jahren betreibt Allison Buchsbaum eine Galerie für zeitgenössischen Schmuck in Santa Fe

von Alicia Rust  22.10.2024

Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Phil Rosenberg, der neue Chef des Board of Deputies of Jews, über den Kampf gegen Judenhass

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  20.10.2024

Johannesburg

Terroristin auf dem Straßenschild?

Eine Hauptverkehrsstraße soll nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024