Die Gemeinde Ner Tamid in Henderson, Nevada, überträgt ihre Bar- und Batmizwa-Feiern für Familienmitglieder und Freunde, die nicht daran teilnehmen konnten, über das Internet. In Charlottesville, Virginia, twittert die Leiterin der Vorschule der Beth-Israel-Gemeinde mehrmals am Tag aus dem Klassenzimmer, damit Eltern das Gefühl haben, an den Lernerfolgen ihrer Kinder teilzuhaben.
Im Verlauf der vergangenen Jahre haben sich viele Synagogen, Religionsschulen und andere jüdische Gruppen bei Facebook, Twitter, Blogs und anderen Sozialen Medien registriert, um herauszufinden, wie die neue Technologien ihre Organisationen stärken und die Öffentlichkeitsarbeit verbessern können. Religiöse Gruppierungen sind »die letzten Gäste, die zum Festival der sozialen Medien eintreffen«, beschreiben die Experten bei NTEN, dem Nonprofit Technology Network, das Phänomen. Aber jetzt kennt ihre Begeisterung keine Grenzen mehr – sogar der Papst besitzt eine Facebook-Seite mit annähernd 80.000 Fans.
angst Die neuen Tools sind dabei, auch religiöse Gruppen von Grund auf zu verwandeln. Für viele, die an der Spitze der Organisationen stehen und es sich in den alten Strukturen bequem gemacht haben, ist das beängstigend. »Durch die sozialen Medien sehen viele Menschen ihre religiösen Institutionen auf neue Weise«, sagt Lisa Colton, Gründerin und Präsidentin von Darim Online, einer gemeinnützigen Einrichtung in Virginia, die jüdischen Organisationen dabei hilft, Ängste zu überwinden und das Potenzial der neuen Medien zu verstehen. »Die etablierten Organisationen verlieren ihr Monopol. Die Leute können jetzt direkt miteinander kommunizieren.«
Anfangs, so Colton, neigten Synagogen und Religionsschulen dazu, die neuen Medien in einer Weise zu benutzen, dass diese die üblichen Aufgaben erledigten, nur eben effizienter. Einladungen zu Veranstaltungen werden nun per E-Mail versandt statt mit der Post, es entstehen Webseiten, die Rabbiner und Gemeindefunktionäre als Anschlagtafeln verwenden – nach wie vor eine Einbahnstraße, denn die Kommunikation läuft von oben nach unten. Wenn sie tiefer einsteigen, erläutert Colton, entdecken viele Rabbiner, Lehrer und Gemeindevorstände, dass die neuen Medien eine ganz andere Art des Redens und Zuhörens erfordern und die aktive Beteiligung der Basis begünstigen. »Selbst auf der einfachsten Ebene ermöglichen die Tools der Sozialen Medien, dass sich Menschen dezentral und zu verschiedenen Zeiten um eine gemeinsame Idee und um gemeinsame Ziele herum zusammenfinden.«
Für Gabby Volodarsky, Programmdirektorin bei Temple Sinai in Oakland, Kalifornien, bedeutet dies, für jemanden in Not rasch Hilfe zusammentrommeln zu können. Als ein Mitglied kürzlich auf der Facebook-Seite der Synagoge die Message versandte, sie bete für »die baldige Genesung« von zwei neuen Mitgliedern, schrieb Volodarsky umgehend an die Frau und erfuhr, dass das Ehepaar, das neu in der Gemeinde war und nicht viele Leute kannte, einen Autounfall gehabt hatte. »Innerhalb einer Stunde erhielten sie Anrufe von unseren Rabbinern und mir«, sagt Volodarsky. »Ich fragte, was die Gemeinde für sie tun könne. Weil ich diesen Facebook-Eintrag gesehen habe, konnte ich mit ihnen Kontakt aufnehmen und sie davon überzeugen, dass wir uns um sie kümmern würden.«
präsenz Online tauschen Menschen Informationen aus, die sie im persönlichen Kontakt für sich behalten würden. Laut Rabbi Jonathan Blake vom Westchester Reform Temple in Scarsdale, New York, trifft dies besonders auf jüngere Menschen zu. Blake verwendet Facebook, um mit den Absolventen seiner Religionsschule in Kontakt zu bleiben, wenn sie an die Universität wechseln. Nachdem er seine Seite eingerichtet hatte, war er überrascht, dass so viele seiner ehemaligen Schüler ihn zum Facebook-Freund machten. Über ihn halten sie Verbindung zu ihrer Heimatgemeinde. »Manchmal weiß ich besser Bescheid, was sie am Freitagabend tun als ihre Eltern«, sagt Blake. Wenn sie sich auf etwas einlassen, was sie irgendwie gefährden könnte, schreitet er ein – als Seelsorger.
Die Sozialen Medien machen es möglich, dass Gemeindemitglieder sowohl untereinander als auch mit dem Rabbi oder den Gemeindeangestellten kommunizieren können – eine Tatsache, die sich die Historic Synagogue in Washington zunutze machte, um für ihren Chanukka-Kochwettbewerb zu werben. Statt einfach eine Einladung herauszuschicken, nutzten die Angestellten Twitter, um die Gerüchteküche kräftig anzuheizen, zwitscherten von einem Kartoffelgericht, das eine Frau zum Wettbewerb mitbringen würde, und verlinkten die Message zum Blog der Frau. Leser des Blogs wurden wiederum zur Webseite der Synagoge geleitet. Die Werbung funktionierte besser als alles, was die Synagoge allein hätte bieten können, so Meredith Jacobs, Leiterin des Familienprogramms der Gemeinde. »Junge Menschen kommen doch vor allem wegen der Gemeinschaft in die Synagoge«, ist sie überzeugt.
Temple Beth Sholom in Roslyn Heights, New York, ging ein noch größeres Risiko ein: Die Gemeinde schenkte ihrem dienstältesten Rabbiner einen Camcorder. Obgleich gerade viele ältere Menschen sich mit den neuen Medien schwertun, verliebte sich Rabbi Alan Lucas sofort in das Gerät. Kürzlich stellte er sein erstes Video bei YouTube ein. Inzwischen bereitet er sein zweites vor, berichtet seine Kollegin Rabbinerin Jeni Friedman. Sie ist inzwischen enthusiastische Anhängerin der Idee, dass die neuen Technologien die Vitalität der Synagogen ungemein stärken können. »Ich glaube, dass diese Videos zu einem regelmäßigen Teil unseres Gemeindelebens werden.«