Alex Scott ist eine Berühmtheit in Großbritannien. Die 37-Jährige ist Trägerin des Ritterordens »Most Excellent Order of the British Empire«, 140-fache englische Fußball-Nationalspielerin und nach dem Ende ihrer 16-jährigen Profikarriere in England und in den USA eine populäre TV-Fußballexpertin und Moderatorin.
Als erste Frau schaffte sie es in der jüngsten Ausgabe in die Kommentatorenriege der legendären Fußballsimulation »FIFA 22«.
SCHLAGZEILEN Jetzt allerdings machte Alex Scott, die unter anderem die BBC-Fußballsendung Football Focus moderiert, ganz andere Schlagzeilen: BBC One, der Kanal, der ihr Hauptbrötchengeber ist, machte Alex Scott zum Star der 18. Staffel seiner genealogischen Serie Who Do You Think You Are?.
In dem Dokumentarprogramm wird Scott mit mehreren unerwarteten biografischen Details ihrer Familie konfrontiert. Die Tochter eines Jamaikaners und einer Irin erfährt in dem Fernsehfilm von ihrer jüdischen Herkunft mütterlicherseits.
Während der Dreharbeiten besuchte sie unter anderem die Sandys Row Synagogue, das älteste aschkenasische Bethaus Londons und das letzte im heutigen East End.
»Ich ging davon aus, Sklaven unter meinen Vorfahren zu entdecken – aber nicht Besitzer von Sklaven.«
In jenem East End, so erfuhr es Alex Scott während der für sie sehr emotionalen Dreh- und Recherchearbeiten, hatte ihr Urgroßvater 1936 den aufkeimenden Faschismus und dessen Anführer in England, Oswald Mosley, bekämpft.
SCHOCK Während sie ihr jüdisches Erbe dankbar und emotional berührt annahm, hatte Scott im Lauf der Dreharbeiten auch familiäre Schockerlebnisse zu verdauen. Auf einer Recherchereise für Who Do You Think You Are? auf den Spuren ihres Vaters nach Jamaika musste die Starmoderatorin entsetzt feststellen, dass ihr Urururgroßvater in den 1820er-Jahren Besitzer von 26 Sklavinnen und Sklaven war.
Die Reise in die Karibik war die erste ihres Lebens. Während der Recherchen zur Herkunft ihres Vaters stießen Scott und die Macher der Serie auf jenen Robert Francis Coombs, dem als freiem »Farbigen« nach damaligem Recht Grundbesitz und Sklaven zustanden.
originaldokumente Alex bekam Originaldokumente gezeigt, die nachweisen, wer von 1817 bis 1832 als Sklave für ihren Vorfahren Robert schuften musste. »Das kann doch nicht wahr sein, ausgerechnet in der väterlichen Linie«, entfährt es Alex in der Serienfolge.
Sie war sichtlich erschüttert, als ihr der Historiker der Serie schilderte, wie üblich es seinerzeit für hellhäutige People of Color war, bevorzugt behandelt zu werden und selbst Sklaven zu halten.
»Ich hatte natürlich erwartet, dass wir bei den Recherchen auf das Thema Sklaverei stoßen würden – aber ich hatte damit gerechnet, Sklaven unter meinen Vorfahren zu entdecken und nicht Sklavenhalter.«
GROSSMUTTER Alex’ Vater hatte die Familie verlassen, als sie gerade acht Jahre alt war und zur Jugend von Arsenal wechselte. Sie hatte ein enges Verhältnis zu ihrer Großmutter Philicita. Diese war als Teil der »Windrush Generation« nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Karibik nach Großbritannien gezogen, als dort als Nachwirkung des Krieges etliche Arbeitsplätze unbesetzt blieben.
Dieser Generation, benannt nach dem Schiff »Empire Windrush«, das Menschen aus der Karibik nach Großbritannien gebracht hatte, widerfuhr später großes Unrecht. So wurden, wie der »Windrush-Skandal« 2018 ergab, viele Menschen widerrechtlich aus dem Londoner East End deportiert, obwohl sie rechtmäßige britische Staatsbürger waren. Im Zuge der Affäre um die illegalen Abschiebungen trat die damalige Innenministerin Amber Rudd zurück.
Philicita, die der kleinen Alex immer jamaikanisches Essen zubereitete und ihr Haar mit Dreadlocks verzierte, sowie Großvater John Scott hatten 1946 vor ihrer Ausreise nach Großbritannien auf Jamaika geheiratet.
urahn Alex’ Urahn Robert war mit ihrer Urururgroßmutter Frances Tracey verheiratet, hatte aber auch zwei Kinder mit einer seiner Sklavinnen. Nach seinem Tod 1851 hinterließ Robert den beiden Frauen und seinen Kindern eine Apanage, um sicherzustellen, dass sie versorgt sind.
»All das«, so Alex Scott, »war wirklich schwer zu verdauen. Menschliches Leben zu besitzen, ist Unrecht. Ich nehme nicht an, dass es viele Geschichten über Schwarze gibt, die Sklaven hielten. Es gibt bestimmt eine Reihe von Leuten, die solche Details ihrer Vergangenheit lieber verschweigen, um die Menschen nicht durch derlei unbequeme Wahrheiten zu verstimmen. Aber ich werde mich für meine Familiengeschichte niemals schämen – schließlich hat sie mich ja zu der Person gemacht, die ich heute bin.«
IDENTITÄT Auch ihre Mutter habe es gewiss nicht leicht gehabt, sagt Alex Scott, die trotz ihres Erfolgs, wie sie sagt, immer ein »East End Girl« bleibe: »Ich bin sicher, sie musste als alleinerziehende weiße Frau mit zwei schwarzen Kindern so einiges durchmachen. Ich als Kind jedenfalls fühlte mich damals häufig etwas verloren. Ich war nicht schwarz genug, um schwarz zu sein, und nicht weiß genug, um weiß zu sein. Wer war ich denn nun – und wo gehörte ich hin?«
»Ich war nicht schwarz genug, um schwarz zu sein, und nicht weiß genug, um weiß zu sein.«
Die Antwort gab die erfolgreiche Geschäftsfrau und ehemalige Spitzensportlerin während der Olympischen Sommerspiele in Tokio, bei denen sie für die BBC arbeitete. Als der britische Abgeordnete Lord Digby Jones von der Labour Party in einer Mischung aus Standesdünkel und Rassismus twitterte: »Es reicht! Ich kann es nicht mehr ertragen! Alex Scott versaut ihre gute Arbeit für das BBC Olympics Team durch ihre offensichtliche Unfähigkeit, die ›Gs‹ am Ende eines Wortes (zum Beispiel Boxing, Swimming, Anm. d. Red.) zu artikulieren. Alex, die Sportler nehmen NICHT teil am Fechte, Ruder, Boxe, Kajake, Gewichthebe und Schwimme!«
Scott zerlegte Rigby in ihrer Antwort: »Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und bin STOLZ darauf. Stolz auf das kleine Mädchen, das alle Hindernisse überwand. Und stolz auf meinen Akzent.«
In einem weiteren Tweet ergänzte sie: »Kurze Nachricht an all die Kids, die keinerlei Privilegien in ihrem Leben genießen: Lasst euch niemals aufhalten von Urteilen über eure soziale Klasse, euren Akzent oder euer Aussehen.« Spätestens da lag Großbritannien der jüdisch-jamaikanischen Alex aus dem East End zu Füßen.