Schaut man auf die Landkarte der Ukraine, so finden sich im Westen etliche Orte, in denen namhafte deutschsprachige, vor allem jüdische Autoren geboren wurden. Paul Celan und Joseph Roth gehören zu den bekanntesten.
Einst waren diese Regionen Teil des Habsburgerreiches, später gehörten sie zu Polen und Rumänien. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Gebiete zur Sowjetunion, und heute sind sie ukrainisches Staatsgebiet.
»Wir haben festgestellt, dass diese Orte ziemlich nah beieinanderliegen«, erzählt die Berliner Künstlerin Helga von Loewenich. »Da haben wir eine imaginäre Linie gezogen und uns eine Route ausgedacht«, ergänzt Petro Rychlo. 2016 hat der Czernowitzer Literaturwissenschaftler und Übersetzer gemeinsam mit von Loewenich das Projekt »Bukowinisch-Galizische Literaturstraße« ins Leben gerufen.
Denkmäler Es begann mit einem privat initiierten Denkmal für den Schriftsteller Samuel Joseph Agnon in seinem galizischen Geburtsort Buczacz. »Es ist geglückt, es wurde angenommen«, erinnert sich von Loewenich. »Wir waren dann mutig und haben uns ans Auswärtige Amt gewandt«, fährt sie fort.
In Felix Klein, der heute Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung ist, hätten sie dort einen Fürsprecher gehabt. Bis heute unterstützt das Auswärtige Amt das Vorhaben finanziell. »Michaela Küchler, dort Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, begleitet unsere Tätigkeit mit aufmerksamem Interesse«, berichten die Initiatoren in einem Artikel.
In der Zwischenzeit kamen Denkmäler für Hermann Kesten in Pidwoloczysk, Karl Emil Franzos in Czortkiv, Rose Ausländer in Czernowitz, Soma Morgenstern in Budaniv und Joseph Roth in Brody hinzu. Am 22. November 2020 wurde in Czernowitz vor der Universitätsbibliothek ein Denkmal für den deutschsprachigen Schriftsteller Gregor von Rezzori enthüllt. Die ukrainischen Künstler Volodymyr Cisaryk und Roman Vilhuschynskyj haben die Bronzebüsten und Gedenktafeln gestaltet.
Vermittlung Inzwischen umfasst das Projekt weitere Aspekte. »Es geht nicht nur darum, eine Büste aufzustellen«, betont Rychlo, der fließend Deutsch spricht. Es gelte auch, »diese Kulturatmosphäre den Menschen in diesen Orten nahezubringen«. Daher würden die Werke der gewürdigten Autoren ins Ukrainische übertragen. Er habe Paul Celan, Rose Ausländer und Salcia Landmann übersetzt, sagt Rychlo. Die lokale Bevölkerung müsse überzeugt werden, »dass das Werk dieser Autoren auch ihr geistiges Erbe ist«.
Von Loewenich sieht beide Bestandteile des Vorhabens miteinander im Einklang: »Das Denkmal bringt es mit sich, dass die Bevölkerung beginnt, untereinander das Gespräch zu führen, die Bücher zu lesen und zu entdecken, welche Geschichte ihre Stadt oder ihr Dorf hat.« Am Anfang stehe immer das Gespräch mit dem jeweiligen Bürgermeister und die Frage, ob die Gemeinde ein solches Denkmal möchte, ergänzt Rychlo.
Dass viele Schriftsteller gerade aus diesen Gebieten stammen, ist in seinen Augen kein Zufall: »Das Wesen der österreichischen Literatur liegt nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie.« In der Sowjetunion habe man das Werk dieser Autoren verschwiegen, beklagt er. Zuvor hatte die Schoa das jüdische Leben in Galizien und der Bukowina zerstört.
geschichte Von Loewenich beobachtet, wie sehr die Geschichte nachwirkt: »Wenn wir dort sind, wissen wir, dass diese Verwüstung von Geist und Psyche durch die Nazis und die sowjetische Zeit erst anfängt, sich zu verwandeln.«
Helga von Loewenich und Petro Rychlo haben noch einiges vor. So solle zum Beispiel die in Žovkva bei Lemberg (Lwiw) geborene Schweizer Schriftstellerin und Jiddisch-Übersetzerin Salcia Landmann geehrt werden, ebenso der aus Stara Jadova in der Bukowina stammende israelische Autor Aharon Appelfeld oder der Schauspieler Alexander Granach aus dem galizischen Verbivci. Zudem, berichten sie, werde über eine kleine Statue zum Gedenken an Selma Meerbaum-Eisinger nachgedacht, die als 18-Jährige in einem transnistrischen Lager an Flecktyphus starb.