Italien

Zwischen Alltag und Hetze

Die Große Synagoge in Rom Foto: imago

Immer mehr Italiener leugnen den Holocaust. In Zeiten von Wirtschaftskrise und Zukunftsängsten florieren Verschwörungstheorien. Wo bislang eher wenig Antisemitismus zu Tage trat, könnte die Stimmung kippen.

»Juden hier« prangte gesprüht in großen, blauen Buchstaben neben einem Davidstern auf der Tür des Hauses von Aldo Rolfi. Seine Mutter Lidia, italienische Widerstandskämpferin und Überlebende des Konzentrationslagers Ravensbrück, hatte bis zu ihrem Tod 1996 in dem Haus im piemontesischen Mondovì gelebt.

Schmiererei Die Schmiererei in deutscher Sprache kurz vor dem Holocaust-Gedenktag reiht sich ein in eine in jüngster Zeit zunehmende Zahl antisemitischer Taten in Italien. Wenige Tage danach wünschte eine ebenfalls gesprühte Botschaft auf der Hauswand der Tochter einer deportierten Jüdin aus Turin dieser den Tod.

Die jüdische Gemeinde in Rom versucht derweil, möglichst gelassen zu reagieren. Im ehemaligen Ghetto in der Altstadt servieren Restaurants weiter die bei Anwohnern und Touristen beliebten Artischocken »alla giudia«. Aus der kleinen jüdischen Bäckerei lockt der Duft der in Fett gebackenen Kuchen und Kekse mit Zimt und Mandeln. Antisemitische Übergriffe waren in Italien über Jahre eher selten.

Die jüdische Gemeinde in Rom versucht, möglichst gelassen zu reagieren.

»Es gibt besorgniserregende Signale, denen begegnet werden muss, ohne in Panikstimmung zu verfallen«, sagt der Sprecher der Gemeinde, Daniel Funaro. Die Sensibilität der italienischen Behörden sei sehr hoch, betont er mit Blick auf die seit einem Attentat auf die Synagoge 1982 hohen Sicherheitsmaßnahmen.

Wer das Museum unter der Synagoge am Tiber besuchen will, wird von der Polizei kontrolliert, bevor er durch eine käfigartige Absperrung in das Innere des von einem hohen Zaun umgebenen Areals eingelassen wird.

Auch die italienische Regierung reagiert: Sie ernannte eine Antisemitismus-Beauftragte und gründete eine parlamentarische Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus.

Todesdrohungen Für ihren Vorschlag zur Gründung dieses Ausschusses erhielt die Senatorin Liliana Segre allerdings so viele Todesdrohungen, dass ihr eine Polizeieskorte zugeteilt wurde. Die 89-Jährige Senatorin auf Lebzeiten ist Holocaust-Überlebende.

Die Antisemitismus-Beauftragte Milena Santerini warnt vor diesem Hintergrund vor einer »Normalisierung des Hasses«. Rund 170 der insgesamt rund 250 im vergangenen Jahr gezählten antisemitischen Straftaten hätten sich im Internet ereignet. Antisemitismus sei ein altes Phänomen, das neue Formen annehme, sagte sie nach ihrer Berufung. Aber der Hass beschränke sich nicht auf das Netz.

Obwohl in Italien jährlich am Gedenktag Ende Januar mit zahlreichen Initiativen auch an Schulen an den Holocaust erinnert wird, steigt der Anteil der Italiener, die die Judenvernichtung leugnen.

Finanzmärkte Dem Jahresbericht »Rapporto Italia 2020« des Meinungsforschungsinstituts Eurispes zufolge verfünffachte sich deren Anteil in den vergangenen 15 Jahren auf knapp 16 Prozent. Ein Viertel der Befragten glaubt, dass Juden die US-Politik prägen und die Wirtschaft und Finanzmärkte kontrollieren.

Diktator Benito Mussolini war ein Verbündeter der deutschen Nationalsozialisten. 1938 erließ er Rassendekrete, mit denen Juden weitgehend von der Teilnahme am öffentlichen Leben inklusive des Schulbesuchs ausgeschlossen waren.

Die Deportation und Vernichtung der Juden begann allerdings erst, als Italien 1943 die Fronten wechselte und unter deutsche Besatzung fiel. Die faschistische Vergangenheit wurde in der italienischen Öffentlichkeit allerdings kaum aufgearbeitet. Seit Jahren verbreiten Vertreter rechter Parteien die Auffassung, Mussolini sei zwar für die Rassengesetze verantwortlich, habe aber ansonsten viel Gutes getan.

Erstaunlich findet der Parlamentarier Emanuele Fiano hingegen den hohen Anteil von Holocaust-Leugnern unter Wählern des Mitte-Links-Spektrums. Laut dem Eurispedes-Bericht liegt er bei 23 Prozent. Dagegen helfe nur Aufklärung, sagt der Sohn eines Holocaust-Überlebenden. Nötig seien auch schärfere Gesetze gegen die Verherrlichung des Faschismus.

Verfassung Die italienische Verfassung verbietet den Wiederaufbau der faschistischen Partei Mussolinis, nicht aber eine Neugründung.

Deshalb habe sich das Grundgesetz als »Reinfall« erwiesen, sagt Fiano. Der nach Kriegsende gebildete »Movimento Sociale Italiano« wandelte sich so weit, dass die Partei als postfaschistische »Alleanza Nazionale« 1994 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi an die Regierung kam.

Bei der Abstimmung zur parlamentarischen Antisemitismus-Kommission im Senat votierten fast alle Parteien für das neue Gremium. Nur die rechtsnationalistische Lega des früheren Innenministers Matteo Salvini, Berlusconis Forza Italia und die neo-faschistischen »Brüder Italiens« enthielten sich. Begründung: Die Kommission bedrohe die Meinungsfreiheit.  epd

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