Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, hat am Montag vor rund 200 orthodoxen Rabbinern aus ganz Europa erklärt, dass kein europäisches Land die rituelle Beschneidung verbieten werde. Der norwegische Politiker sprach bei einem Gala-Dinner der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) im Lichthof des Berliner Jüdischen Museums.
Die Abendveranstaltung stand unter dem Motto »Gibt es für jüdisches Leben eine Zukunft in Europa?«. Jagland sagte den Rabbinern: »Ich möchte Ihnen gegenüber unmissverständlich klarstellen, dass der Europarat keineswegs die Praxis der männlichen Beschneidung verbieten möchte. Weibliche Genitalverstümmelung verletzt Menschenrechte – männliche Beschneidung tut dies nicht. Das ist meine Position. Das ist die Position des Europarates.«
zentralrat Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erinnerte daran, dass die parlamentarische Versammlung des Europarates Anfang Oktober in Straßburg mit großer Mehrheit für einen Resolutionsentwurf gegen die Beschneidung gestimmt hatte. Jagland habe sich gegen diesen Versuch ausgesprochen, sagte Schuster und dankte ihm für seine Unterstützung: »Es ist gut, Freunde zu haben.«
CER-Präsident Pinchas Goldschmidt, der Oberrabbiner von Moskau, hob hervor, Jaglands Erklärung sei »äußerst wichtig« und ein starkes Signal an die jüdischen Gemeinden Europas, »dass dieser Grundpfeiler unseres Glaubens nicht zum Gegenstand einer zunehmend aggressiven säkularen Lobby wird, die die religiöse Praxis beschimpft«.
Ausdrücklich ging Jagland auf das Motto des Abends ein, ob es in Europa für Juden eine Zukunft gebe: »Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges ›Ja‹.« Doch reiche ihm dies nicht aus, betonte er: »Es ist nicht genug, eine Zukunft für Juden in Europa sicherzustellen – wir müssen auch eine Zukunft für jüdisches Leben sicherstellen.«
Toleranz In der Hauptrede des Abends kritisierte CER-Präsident Goldschmidt die Angriffe gegen das Schächten (Schechita) und die Beschneidung (Brit Mila). Die Ursache der Attacken sieht er in einer »Trinität von Intoleranz, intellektuellem Antisemitismus und Islamophobie«. Die wachsende Zahl von Muslimen in Europa habe zu einer generellen Religionsfeindlichkeit geführt, die das »Projekt Europa« gefährde, sagte er.
Dem könne nur durch Toleranz und gegenseitigen Respekt begegnet werden. Goldschmidt redete den Rabbinern und Vertretern jüdischer Organisationen, die zur Gala gekommen waren, ins Gewissen und rief zur Zusammenarbeit auf: »Ob es in 20 Jahren noch Juden in Europa geben wird, hängt auch von Ihnen hier im Raum ab. Es gibt keine Hoffnung für die Menschheit, wenn es keine Toleranz gibt. Das ist die Botschaft, die Sie allen Europäern bringen sollen.«
Gedenkkerzen Nach dem Gala-Dinner liefen die Abendgäste vom Brandenburger Tor zum benachbarten Holocaust-Mahnmal, zündeten Kerzen an und verweilten kurz zum Gebet und zum Gedenken.
Die Mitgliederversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz endet am Dienstagnachmittag. Aus Anlass des 75. Jahrestages der Pogromnacht war erstmals Berlin als Tagungsort gewählt worden. Auf Einladung von Generalsekretär Thorbjørn Jagland soll die nächste Vollversammlung der Rabbinerkonferenz am Sitz des Europarates in Straßburg stattfinden.