Erstmals steht ein Brasilianer an der Spitze der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und bekleidet damit eine Schlüsselposition für die wirtschaftliche Erholung Lateinamerikas. Die Wahl des Ökonomen Ilan Goldfajn zum neuen Präsidenten der Institution rief aber nicht nur Beifall hervor.
Goldfajn wurde in Haifa geboren und kam als Kind nach Brasilien. Der heute 56-Jährige ist aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde des Landes und besitzt sowohl die israelische als auch die brasilianische Staatsbürgerschaft. Er verfügt über Erfahrungen im öffentlichen wie privaten Finanzsektor. Zwischen 2016 und 2019 war er Chef der brasilianischen Zentralbank. Zuvor hatte er Beraterposten bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) inne; zudem war er mehrere Jahre Chefökonom der größten brasilianischen Privatbank Itaú Unibanco und Verwaltungsratsvorsitzender der Credit Suisse Brasilien.
stolz Der Präsident des brasilianisch-jüdischen Dachverbandes, der Confederação Israelita do Brasil (CONIB), Claudio Lottenberg, begrüßte die Wahl: »Es ist ein Stolz für Brasilien und die jüdische Gemeinde, und ich bin sicher, dass Ilan Goldfajn hervorragende Arbeit an der Spitze der IDB leisten wird.«
Auch Brasiliens künftiger Vizepräsident Geraldo Alckmin lobte im Namen des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva die Wahl Goldfajns. Alckmin betonte auf Twitter, es sei wichtig, dass die IDB zum ersten Mal einen Brasilianer an ihrer Spitze habe. Er bekräftigte die Bereitschaft der nächsten Regierung, die Beziehungen zur Bank für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region zu stärken.
Doch obwohl Goldfajn in Wirtschaftskreisen hohes Ansehen genießt, ist seine Wahl nicht unumstritten, zumal er von Brasiliens scheidendem Präsidenten Jair Bolsonaro nominiert worden war. Zwar hatte Brasiliens künftiger Präsident Lula keine Einwände gegen Goldfajn als Vertreter des Landes, doch vor allem Mexiko kritisierte die Wahl als eine »Politik des Immergleichen«.
konservatismus »Es gibt keine Veränderung bei der Wahl des Direktors der IDB, es ist immer wieder dasselbe, es ist das, was während der gesamten neoliberalen Periode angewandt wurde, sie stimmen sich mit den Vereinigten Staaten ab, und das ist, wie sie wählen«, wetterte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Goldfajn sei »Mitglied der Wirtschafts- und Finanzgruppe, die dem Konservatismus und vor allem der von der US-Regierung geförderten neoliberalen Politik sehr verbunden ist. Es gibt keine Hoffnung für die Völker Lateinamerikas und der Karibik«.
Allerdings hat López Obrador selbst Anteil an Goldfajns Wahl, die auch die Unterstützung Brasiliens, der USA, Kanadas und Argentiniens genoss. Die Linksregierungen Chiles, Argentiniens und Mexikos konnten sich im Vorfeld nicht auf einen Kandidaten einigen. So hatte Goldfajn gegen die vier anderen Kandidaten und Kandidatinnen leichtes Spiel.
Die Wahl eines neuen IDB-Präsidenten war nötig geworden, weil der von den USA unter Donald Trump ins Amt gehobene IDB-Präsident, der Kubano-Amerikaner Mauricio Claver-Carone, abgesetzt worden war. Ihm wurde im Rahmen einer Ethikuntersuchung eine Affäre mit einer ihm unterstellten Mitarbeiterin vorgeworfen.
Die multilaterale Entwicklungsbank mit Sitz in Washington ist mit einem Kreditvolumen von 23,4 Milliarden US-Dollar die größte Geldgeberin für Entwicklungsprojekte in Lateinamerika und der Karibik. Ihre Tätigkeit hängt in hohem Maße von Geldern aus den USA ab. Das schafft Misstrauen in einer Region, in der fast alle Schlüsselländer links regiert werden.
Goldfajn, der seine fünfjährige Amtszeit am 19. Dezember angetreten hat, steht vor der Aufgabe, Volkswirtschaften anzukurbeln, die in einem Teufelskreis stecken aus einbrechenden Währungen, steigender Auslandsverschuldung und Kapitalflucht aufgrund von Inflation und hohen Zinsen in den USA und Europa.
ANTISEMITISMUS Wenige Tage vor seinem Amtsantritt wurde Goldfajn in der Presse antisemitisch angegriffen. Paulo Nogueira Batista Jr., ehemaliger Vertreter Brasiliens und acht weiterer lateinamerikanischer Länder im Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds (IWF), sagte in einem Interview mit der Zeitung »Jornal GGN«, Goldfajn sei der Regierung des designierten Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva feindlich gesinnt. Als einen der Gründe dafür führte Batista Goldfajns jüdischen Hintergrund an.
Batistas Argumentation beruht auf mehreren antisemitischen Tropen über jüdische Macht und doppelte Loyalität: »Er (Goldfajn) ist im Wesentlichen ein Finanzier, der mit dem US-Finanzministerium und der jüdischen Community verbunden ist. Eigentlich ist er jüdisch-brasilianisch, geboren in Haifa, Israel. Und die jüdische Gemeinde hat eine starke Präsenz im US-Finanzministerium, im Währungsfonds, in internationalen Organisationen, nicht nur in Privatbanken«, so der Ökonom.
Batista verspottete auch Goldfajns Nachnamen und nannte ihn »unaussprechlich«, weil er nicht portugiesischen Ursprungs sei.
Die Confederação Israelita do Brasil (CONIB) reagierte entsetzt auf Batistas Äußerungen: Er »greift alte antisemitische Klischees auf, die von Faschisten und Rassisten benutzt werden, um einen brasilianischen Bürger zu verunglimpfen«, heißt es in einer Erklärung.
Das Instituto Brasil Israel kritisierte Batista in den sozialen Medien: »Die Aussagen sind antisemitisch wie in einem Antisemitismus-Handbuch, stellen die klassische Beziehung zwischen Juden und Geld her und die These einer jüdischen Verschwörung auf, ja wiederholen sogar eine Logik, die den Juden die Möglichkeit nimmt, Brasilianer zu sein.«