Hügel, von denen man auf den glitzernden Ozean blickt, enden schroff in steilen Klippen. Zwischen goldbraunen Sandsteinmausoleen und Grabsteinen aus weißem Marmor wiegen Palmwedel im Wind. Kein Wunder, dass der Friedhof von Waverley in Sydney bei Touristen zu einer kleinen Attraktion geworden ist. Auf halbem Weg zwischen den Traumstränden von Bondi und Bronte schlängelt sich die multikonfessionelle Ruhestätte dem Pazifik entgegen.
Nirgendwo sonst in Australien gibt es auf so engem Raum eine so dichte Ansammlung von Skulpturen aus der Zeit der britischen Königin Victoria. Hier liegen bedeutende Persönlichkeiten begraben wie der Dichter Henry Lawson oder die jüdische Menschenrechtsaktivistin Esther Abrahams, die mit der ersten Flotte in Australien ankam und sich für die überführten Häftlinge einsetzte. Eine indische Bollywood-Produktion nutzte den atemberaubend schönen Friedhof bereits als Kulisse, Brautpaare lassen sich hier gern fotografieren, andere wollen gleich auf dem Friedhof heiraten. Letzteres wurde bislang jedoch stets abgelehnt.
Kosten Wer allerdings genau hinsieht, erkennt, dass Waverley zerfällt. Absperrbänder säumen diverse Bereiche des Friedhofs, Mauern bröckeln. Für Reparaturen hat die Friedhofsverwaltung kaum Geld. Die Ruhestätte ist nahezu voll und kann nicht erweitert werden. Wer hier begraben werden möchte, muss tief in die Tasche greifen. Ein einfaches Grab kostet mehr als 23.000 australische Dollar (14.800 Euro) bei einer Laufzeit von 25 Jahren. Jüdische Begräbnisse sind teurer, da die Gräber nicht aufgelöst werden.
Doch selbst für viele wohlhabende Juden ist Waverley keine echte Option als letzte Ruhestätte. »Da wir nicht mit schwerem Gerät Gräber ausheben können, gab es in jüngerer Zeit nur eine begrenzte Anzahl jüdischer Bestattungen«, heißt es von der Friedhofsverwaltung. Einen Gestorbenen, wie es die Halacha verlangt, innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod zu beerdigen, sei kaum zu schaffen.
Obwohl es nirgendwo sonst in Australien so gut besuchte Synagogen gibt wie in den östlichen Vororten Sydneys, müssen immer mehr jüdische Bestattungen auf dem knapp 30 Kilometer entfernten Friedhof von Rookwood stattfinden. Mit etwa 300 Hektar Fläche und fast einer Million Grabstätten gilt er als der größte Friedhof der südlichen Hemisphäre. Doch auch hier wird der Platz knapp – was man direkt auf die Kosten für Begräbnisse umlegt.
»Die Preise haben sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre nahezu verdoppelt«, sagt David Kroll vom Jewish Board of Deputies des Bundesstaats New South Wales. »In Sydney begraben zu werden, kostet mittlerweile doppelt so viel wie in Melbourne.« Das Problem betrifft alle Glaubensrichtungen. Im Juli 2015 sorgte eine private Anzeige für Aufsehen, über die ein Katholik sechs Ruhestätten in seiner Familiengruft verkaufen wollte – für umgerechnet 47.000 Euro.
»Der Kaufprozess für neues Land, um einen neuen multikonfessionellen Friedhof zu errichten, befindet sich gerade in der Schwebe«, sagt Kroll. »Aber wenn er innerhalb der nächsten drei Jahre umgesetzt wird, dann sollten sich die Preise stabilisieren oder gar leicht fallen. Wenn nicht, werden die Preise weiterhin schneller ansteigen als die Inflation.«
Normen In etwa 30 Jahren wird es in Sydney keine freien Begräbnisflächen mehr geben, schätzt das Magazin »Issues«. Auf vielen alten Friedhöfen wird dieser Zustand allerdings schon sehr viel früher eintreten. Deshalb plant man, auf allen Friedhöfen der Stadt ein Ende unbegrenzter Liegezeiten einzuführen. So wie es vereinzelt schon praktiziert wird, etwa in Waverley. Allerdings nur dann, wenn es nicht gegen kulturelle oder religiöse Normen verstößt. Juden und Muslime werden von der neuen Regelung also nicht betroffen sein.
Die Friedhofsverwaltung von Rookwood bestreitet hingegen, dass die Preise massiv angezogen hätten. Zuletzt habe es im vergangenen September eine Angleichung von drei Prozent gegeben, das entspreche in etwa der Inflation. In den Jahren 2013 und 2014 hätten sich die Preise hingegen gar nicht verändert.
Allerdings wurde erst im Jahr 2012 eine Gemeinschaftsverwaltung eingeführt, die sich um alle 90 hier vertretenen Religionsgemeinschaften und Kulturkreise kümmert. Zuvor konkurrierten diese teilweise miteinander um freie Friedhofsflächen. Von dem Zusammenschluss hat vor allem auch die jüdische Gemeinde profitiert. Ihr und den Muslimen wurde gemeinsam ein bislang ungenutztes Stück des Friedhofs zugänglich gemacht.
Zuwachs Aber warum gibt es ausgerechnet auf einem derart dünn besiedelten Kontinent ein so drängendes Platzproblem? Australien ist ein Land von gigantischer Fläche. Aber nur ein Bruchteil ist tatsächlich bewohnbar. Dem stehen seit Jahren steigende Bevölkerungszahlen gegenüber. Allein im vergangenen Jahr betrug der Zuwachs etwa 1,4 Prozent, schätzt das zuständige Bundesamt für Statistik.
Heute leben knapp 23,8 Millionen Menschen in Australien. Das sind so viele wie nie zuvor. Die Preise für Wohnraum steigen massiv an, mit Blick auf die Infrastruktur knirscht es an allen Ecken und Enden. Für Stadtentwickler ist dies eine große Herausforderung. Es fehlt an Krankenhäusern und Schulen genauso wie an Straßen und Bahnstrecken. Und so konkurrieren die Toten an vielen Orten im Land um Platz mit den Kranken, den Studenten und den Beschäftigten.
In Sydney hat sich das Problem besonders zugespitzt, denn die Stadt ist quasi eingekesselt. Im Westen liegen die Blue Mountains, ein zumeist unzugängliches Mittelgebirge, im Norden der Stadt befindet sich ursprüngliches und geschütztes Buschland, im Osten glitzert der Pazifik. Noch gibt es größere Grundstücke innerhalb der Stadtgrenzen, die ungenutzt sind. Doch für einen Friedhof wurde bislang keines freigegeben.
Ein neuer Großfriedhof würde allerdings nicht die finanziellen Probleme der bestehenden lösen. Diese decken ihre Kosten bislang hauptsächlich durch den Verkauf von Gräbern. Neue Erlösquellen müssen also her. In Waverley würde man gern davon profitieren, dass der Friedhof bei Touristen und Anwohnern derart populär ist. So wird überlegt, unterhalb der Gräber eine Veranstaltungshalle in die Klippen zu bauen. Der Plan ist umstritten – aber der Ausblick wäre grandios.