Dass Leon Zelman in Wien landete, war eine Fügung des Schicksals – mit schrecklichen Irrwegen über Ghettos, Lager, den Tod der gesamten Familie in Auschwitz und die eigene Deportation in das KZ Ebensee. Dass er dann als studierter Publizist im Österreichischen Verkehrsbüro tätig wurde und dort den Tourismus nach Israel aufbaute, war eine Station. Doch dass er in Wien den Jewish Welcome Service (JWS) gründete, war das Fundament seines Lebenswerks.
Als Organisator von Reisen nach Israel hatte er gemerkt, dass es umgekehrt auch im jüdischen Staat ein großes Interesse an Reisen nach Österreich gab. Daraus zog Leon Zelman seine Schlüsse und gründete 1980 mit den sozialdemokratischen Wiener Stadtpolitikern Leopold Gratz – von 1973 bis 1984 Bürgermeister der Bundeshauptstadt – und Heinz Nittel den Jewish Welcome Service.
ANGEBOTE Heute, mehr als 40 Jahre später, ist der Jewish Welcome Service das Bindeglied zwischen der Stadt Wien und der jüdischen Welt. Im Laufe der Zeit hat sich der Adressatenkreis gewandelt: Waren es vor 40 Jahren noch hauptsächlich Schoa-Überlebende, die die Angebote des JWS annahmen, so gilt es heute, deren Kinder und Enkel zu erreichen – eine nicht immer leichte Aufgabe. »Die Zielgruppe hat sich verändert«, sagt JWS-Generalsekretärin Susanne Trauneck, »es gibt immer weniger Überlebende.« Dies führt dazu, dass sich auch die Tätigkeitsfelder des JWS erweitert haben.
Der JWS ist keinesfalls eine Reiseagentur. Er ist Dialogplattform, Verknüpfungspunkt, Vermittler, betreibt die historische Aufarbeitung ebenso wie Kulturvermittlung und gibt Informationen weiter. Diese Bandbreite zeichnet sich ab, wenn Susanne Trauneck die Anfragen schildert, die täglich bei ihr eingehen. Sie reichen von: »Wo kann ich in Wien koscher essen gehen?« über Informationen zum neuen Staatsbürgerschaftsgesetz, wonach Schoa-Überlebende und deren Nachfahren das Recht auf einen österreichischen Pass haben, bis zu Anfragen, welche Dokumente wo in welchen Archiven liegen.
»Leon Zelmans Verdienst ist es, diese Erinnerungskultur begründet zu haben«, sagt Susanne Trauneck. Und ihre Aufgabe ist es, diese Kultur im 21. Jahrhundert weiterzutragen.
Heute gilt es vor allem, die Kinder und Enkel zu erreichen.
Die Gründungsjahre des Jewish Welcome Service waren eine turbulente Zeit im sonst so ruhigen Österreich: Mit Bruno Kreisky war seit 1970 ein Sozialdemokrat jüdischer Herkunft Bundeskanzler – einer, der die Konfrontation mit der jüdischen Gemeinde nicht scheute und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO zum Dialogpartner machte – dessen Parteifreunde in Wien aber zugleich auch eine Schoa-Erinnerungskultur mitbegründeten.
Terror Es waren die Jahre des palästinensischen Abu-Nidal-Terrors, der auch Wien traf: am 1. Mai 1981 das tödliche Attentat auf Heinz Nittel, den Präsidenten der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, im August der Anschlag auf den Stadttempel.
»Gegen Ende des Lebens erinnert man sich«, sagt Susanne Trauneck. Viele der Menschen aus aller Welt, die mit dem Jewish Welcome Service in Kontakt treten, wollten ihr Schicksal und ihren Lebensweg für die Nachkommen festhalten, sie aufschreiben. Andere aber wollen dem Schicksal der Eltern nachspüren, weil diese nie darüber gesprochen hätten.
Es seien die Wurzeln, die für viele Menschen mit zunehmendem Alter wichtig werden, sagt Trauneck. Und es ist die Aufgabe des JWS, bei der Suche nach ebendiesen Wurzeln behilflich zu sein.
erinnerungen »Viele Menschen haben sehr schöne Erinnerungen an Wien – an die Stadt, nicht an die Menschen!«, sagt sie. Denn da sei eben vor allem auch diese Erinnerung, dass sich von einem Tag auf den anderen alles änderte: dass Kinder nicht mehr in die Schule gehen durften, weil sie Juden waren, dass die Eltern ihre Arbeit verloren, sie die Kinder in großem Umfang im Rahmen von Kindertransporten ins rettende Großbritannien brachten. »Das sitzt tief«, sagt Susanne Trauneck.
Juden mit Zahnbürsten die Gehsteige putzen zu lassen, das war eine Erfindung der Wiener Nationalsozialisten. Sehr lange aber hatte man sich in Österreich nach dem Krieg als »Erstes Opfer Hitlers« betrachtet. Erinnerungskultur, die Aufarbeitung der Vergangenheit, ein aufgeklärter selbstkritischer Umgang damit – all dies begann erst in den 80er-Jahren, und das auch nur ganz allmählich.
Gab es in den 80er-Jahren nur ein einziges koscheres Lokal in Wien, so ist das Angebot heute ein sehr reiches. Jüdische Kultur ist keine Nische mehr. Manches davon geht auch auf den Jewish Welcome Service zurück, vor allem, wenn es darum geht, Themen aufzubringen, zum Beispiel durch eine Ausstellung über die Kindertransporte oder auch durch den alljährlichen Leon-Zelman-Preis.
Preis In diesem Jahr ging der Preis an den »Republikanischen Club – Neues Österreich«, der sich seit seiner Gründung 1986 gegen Antisemitismus und Geschichtsvergessenheit einsetzt, sowie an das Jugendprojekt »Likrat« der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Im Rahmen des Projekts besuchen junge jüdische Dialogpartner Schulklassen in ganz Österreich, um dort mit nichtjüdischen Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Das Programm wurde mittlerweile auf Jugendorganisationen und Universitäten ausgeweitet.
Es sei genau diese Generation, die es in Zukunft zu erreichen gilt, sagt Susanne Trauneck. Wegen der Corona-Pandemie gebe es derzeit ohnehin weniger Gruppenreisen als früher und auch keine Rundfahrten im Bus in großen Gruppen.
Und so heißt das jüngste Programm des Jewish Welcome Service »Vienna-Trips«. Dabei geht es um Individualreisen für 18- bis 35-Jährige inklusive Sightseeing und Spurensuche in Wien. Die Hotel- und Reisekosten werden übernommen. Der Andrang und das Interesse freuen Susanne Trauneck. Mehr als 60 Bewerbungen seien bereits eingegangen. Jetzt bleibe nur zu hoffen, dass die Pandemie die Umsetzung nicht platzen lasse.
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