Tschechien

»Zionistische Verschwörer«

Im Gerichtssaal in Prag: Rudolf Slánský Mitte November 1952 Foto: picture alliance / CTK

Mächtig war er einst und gefürchtet. Doch jetzt steht er am Rednerpult wie ein Schuljunge, den Kopf gesenkt. »Ich fordere Sie auf, klar und verständlich zu sprechen«, ordnet eine Stimme an. »Haben Sie mich verstanden?«

Rudolf Slánský, der frühere General­sekretär der kommunistischen Partei, nickt stumm. Er weiß, dass hier vor dem Gericht sein letztes Kapitel begonnen hat, und vermutlich ahnte er auch schon, dass es mit der Todesstrafe enden wird – er, der vorher selbst etlichen Weggefährten den Tod gebracht hatte.

»Monsterprozesse« Es war einer jener Prozesse in den Anfangsjahren der kommunistischen Tschechoslowakei, die als »Monsterprozesse« in die Geschichte eingegangen sind. Monströs war an ihnen alles. Der riesige Gerichtssaal, in dem die Angeklagten vor den Augen der Öffentlichkeit vorgeführt wurden. Die Anklage selbst war kons­truiert und erlogen bis in die Details. Die Geständnisse der Angeklagten, die ihnen unter Folter abgerungen wurden und die sie gezwungen wurden, im großen Saal zu wiederholen.

Die Urteile, die auf den Tod lauteten. Und die gesamte Inszenierung mit Kamerateams und Fernsehübertragung, was damals im Jahr 1952 noch eine Besonderheit war. Stunde um Stunde des Prozesses sind dank dieser Aufnahmen bis heute überliefert – ein historisches Dokument, das den Gerichtsprozess auch 70 Jahre später noch mit seiner gesamten Perfidie erlebbar macht.

Was sich damals schon abzeichnete: Der Prozess gegen Rudolf Slánský war der Beginn einer antisemitischen Welle, die bis zur politischen Wende durch die Tschechoslowakei schwappte. Slánský war jüdisch, ebenso wie zehn seiner 13 Mitangeklagten, die allesamt einstige Parteifunktionäre waren.

Die Anklage war konstruiert und erlogen bis in die Details.

Als »Kosmopoliten« und »Zionisten« wurden sie im Prozess angeprangert – ein kalkuliertes Signal: In Prag wollte man die anfängliche Unterstützung für die Staatsgründung Israels vergessen machen. »Um zu beweisen, dass sie gute Freunde der Araber sind, mussten sie sich als Antisemiten legitimieren«, schrieb viel später Eugen Löbl, einer der Mitangeklagten – und einer der wenigen, die nicht zum Tode verurteilt wurden. »Seit dieser Zeit ist Antisemitismus ein Teil der sowjetischen Außenpolitik geworden. Und der Hintergrund dessen ist, Fuß zu fassen im Nahen Osten, um dadurch einen viel größeren Druck auszuüben auf den Westen und gegen Amerika.«

hardliner Rudolf Slánský galt als Moskau-treu bis zur Selbstverleugnung und war einer der Hardliner im Sozialismus. Historiker sind sich heute darin einig, dass es nicht zuletzt an ihm und seinen Methoden lag, dass die Kommunisten in der Tschechoslowakei ihre Position festigen und ausbauen konnten. Vermeintliche Staatsfeinde räumte er gnadenlos aus dem Weg, oft mit konstruierten Anklagen – jene Methode, der er schließlich selbst zum Opfer fiel.

Was war geschehen, dass der mächtige Generalsekretär 1952 stürzte? Bis heute ist das ungeklärt; es muss die Paranoia im Regime gewesen sein, das gerade in den Anfangsjahren fürchtete, »der Westen« wolle es zu Fall bringen. Und so klang dann auch die Anklage. Sie war von Parolen und Worthülsen durchsetzt, wie sie in den 50er-Jahren üblich waren: Die »Bande der Aufrührer«, so formulierte es der Fernsehkommentator bei der Übertragung des Prozesses, wollte »unser Land zurückführen in die Hände der westlichen Imperialisten«.

Wie konstruiert und wie paranoid die Vorwürfe waren, lässt sich am eindrücklichsten in den Memoiren von Eugen Löbl nachlesen, der als Staatssekretär im Handelsministerium von einem Tag auf den anderen verhaftet wurde. »Ich sollte ein Protokoll unterschreiben, in dem dieses Geständnis enthalten war: ›Bei geschäftlichen Verhandlungen mit kapitalistischen Staaten habe ich Verträge abgeschlossen, die für die kapitalistischen, vor allem jüdischen Händler vorteilhaft waren und unvorteilhaft für die Republik.‹«

Löbl beschreibt, wie sich im Laufe seiner Jahre im Gefängnis die Vorwürfe ständig änderten. Verhaftet wurde er unter dem Verdacht, mit Tito in Jugoslawien gemeinsame Sache zu machen. Später war davon keine Rede mehr. »In der zweiten Dezemberhälfte wurde ich zum slowakischen, bourgeoisen Nationalisten. Im März war ich dann kein slowakischer, bourgeoiser Nationalist mehr, sondern wurde zum Kosmopoliten jüdisch-bourgeoiser Herkunft und Mitglied der antistaatlichen Gruppe von Slánský.«

Mitverschwörer Sie alle, sämtliche vermeintliche Mitverschwörer, waren den gleichen Verhörprozeduren ausgesetzt und auch der Folter. Das erklärt, warum sie vor Gericht ausgelaugt, abgemagert und gebrochen wirkten, wie sie vorne stehen am Rednerpult, vor sich die Kameras und das hasserfüllte Publikum, hinter sich die unerbittlichen Richter und im Kopf die Geständnisse, die sie auswendig lernen und Wort für Wort vortragen mussten.

Zwei Wochen nach Prozessbeginn wurde Slánský zum Tode verurteilt und hingerichtet.

»Sie haben mir verboten zu sitzen. Ich musste bei den Verhören stehen. Sie dauerten durchschnittlich 16 Stunden täglich mit zwei Stunden Pause dazwischen. Ich musste also jeden Tag 18 Stunden stehen. Für den Schlaf blieben sechs Stunden. Alle zehn Minuten klopfte der Wärter an die Tür. Ich musste sofort aufstehen und rufen: ›Untersuchungshäftling Nummer 1473 meldet: Alles in Ordnung!‹ So haben sie mich 30-, 40-mal in der Nacht aus dem Tiefschlaf gerissen. Ein weiteres Ins­trument war der Hunger; man war nie satt.«

GENUGTUUNG Rudolf Slánský wurde zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 hingerichtet, mit ihm zehn seiner Mitangeklagten. Viele Beobachter verspürten damals stille Genugtuung, oft auch Schadenfreude: Derjenige, der zuvor so vielen Unschuldigen den Tod gebracht hat, fällt schlussendlich seinem eigenen System zum Opfer.

Für die Juden in der Tschechoslowakei allerdings war der Prozess mit der Urteilsverkündung noch lange nicht zu Ende. Viele machen in ihm die Wurzeln eines Antisemitismus aus, der sich über die gesamte kommunistische Zeit bis zur politischen Wende halten konnte. Die Staatssicherheit versuchte, die jüdischen Einrichtungen mit Spitzeln zu infiltrieren, und bis zum Ende des Regimes herrschte innerhalb der Gemeinden eher Misstrauen als Solidarität, so erinnern sich Zeitzeugen an diese dunkle Phase – eine Phase, die vor 70 Jahren begann und die jüdischen Gemeinden bis heute beschäftigt.

New York/Malibu

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