Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Herr Rosenberg, seit Juni sind Sie Präsident des Board of Deputies of British Jews, des Dachverbands der britischen jüdischen Gemeinden. Wie haben Sie die ersten Monate im Amt erlebt?
Es waren mit Sicherheit besonders ereignisreiche Monate. Bereits einen Monat, nachdem ich Präsident wurde, fanden die Nationalwahlen statt, und dann kamen die rechtsextremen Krawalle im Sommer. Aber eine meiner ersten Aufgaben für mich selbst war es, meine fünf Prioritäten anzukündigen: Wir werden den Antisemitismus bekämpfen. Wir werden uns für Frieden und Sicherheit in Israel und im Nahen Osten einsetzen. Wir werden unsere religiösen Freiheiten verteidigen. Wir wollen unsere Gemeinschaft enger miteinander verbinden. Und wir werden unseren Glauben, unsere Tradition und unsere lebende Kultur feiern.

Was war Ihr Beitrag zum Wahlkampf?
Noch vor der Wahl haben wir ein »Jüdisches Manifest« herausgegeben, das alle in der jüdischen Gemeinschaft wichtigen Themen zusammenfasst. Das haben wir überparteilich an die Kandidaten verteilt. Außerdem haben wir 20 Wahlpodien veranstaltet an Orten mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.

Im Sommer haben nach einem Verbrechen Fake News und Populismus für einen rechtsextremen Mob gesorgt. Wie sind Sie damit umgegangen?
Nach dem Ausbruch der rechtsextremen Gewalt habe ich die Gesetzlosigkeit und das rücksichtslose Vorgehen, das wir auf den Straßen beobachten mussten, unmissverständlich verurteilt. Angriffe auf Muslime, schwarze Menschen, andere Minderheiten und unsere tapfere Polizei sind vollkommen inakzeptabel. Wir haben unsere Solidarität mit allen Betroffenen bekundet. Ich habe auch die Moschee in Southport besucht, die damals angegriffen wurde, und die jüdische Gemeinde hat mit einer Spende die Reparaturarbeiten unterstützt.

Fühlen Sie sich im Vereinigten Königreich ausreichend gehört?
Die Beziehung zur neuen Regierung ist gut. Ich kenne Premierminister Keir Starmer bereits seit einigen Jahren, als ich Kommunalvertreter im selben Stadtbezirk war, in dem er parlamentarischer Vertreter ist. Es gibt bereits Fortschritte zu verzeichnen bezüglich der geplanten Holocaust-Gedenk- und Lernstätte und bezüglich Hetze an Universitäten. Wir begrüßen diese Entwicklungen.

Und wo liegen die Herausforderungen?
Es gibt auch einige Meinungsverschiedenheiten in außenpolitischen Themen. Wir werden die neue Regierung zur Verantwortung ziehen – wie wir es bereits bei der Vorgängerregierung getan haben –, was deren Entscheidung zu der teilweisen Suspendierung der britischen Waffenverkäufe an Israel betrifft. Diese Entscheidung ist just am Tag der Beerdigung der sechs brutal ermordeten israelischen Geiseln gefallen und birgt die Gefahr, eine gefährliche Botschaft an die Hamas und andere Gegner Israels zu sein: Terroristen können Gräueltaten begehen, die verurteilt werden, und trotzdem erreichen, dass Israel abgestraft wird. So könnten sie es zumindest verstehen. Wir werden die Diskussionen mit der Regierung hierzu fortführen.

Als Präsident des Board of Deputies haben Sie auch eine Rolle im interreligiösen Dialog. Seit dem 7. Oktober wird viel über zerbrochene Beziehungen zwischen jüdischen und muslimischen Briten gesprochen. Haben Sie noch Hoffnung auf Verbesserungen?
Die Beziehungen sind seit dem 7. Oktober zweifellos angespannt, und ich würde sagen, nicht nur zwischen jüdischen und muslimischen Gemeinschaften, sondern auch zwischen jüdischen und christlichen. Der Konflikt hat sich als besonders spaltend erwiesen. Ich bin aber persönlich schon lange im Bereich interreligiöser Beziehungen tätig, und mit das Großartigste seit meiner Wahl ist: Rund 40 muslimische Gemeindevorsteher haben mir persönlich gratuliert und mich um mehr Zusammenarbeit gebeten. Während des Sommers habe ich sie zum Gespräch eingeladen, um eine Art »Optimistische Allianz« zu schaffen.

Das klingt gut, was ist das?
Wir haben eine Reihe von Themen erörtert, darunter, wie wir gegen antijüdischen und antimuslimischen Hass vorgehen, wie wir uns Extremismus entgegenstellen und die Stimmen der großen Mitte stärken können. Außerdem ging es um die Verteidigung religiöser Freiheiten und soziale Herausforderungen wie Armut und auch Klimawandel und darum, bessere Wege zu finden, um uns mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu befassen. Nach diesem erfolgreichen Anfang sprechen wir bereits darüber, wie wir die Initiative über die kommenden Monate weiter ausdehnen können.

Antisemitismus zeigt sich in weiten Teilen der britischen Gesellschaft, die Zahlen sind förmlich explodiert. Tut die Regierung genug?
Antisemitismus ist die größte Herausforderung. Leider hat sich der Großteil unserer Arbeit schon im vergangenen Jahrzehnt auf antijüdischen Rassismus konzentrieren müssen, seit dem 7. Oktober geht es fast nur noch darum. In meinem ganzen Leben war die Sorge in der jüdischen Community noch nie so groß, was die Frage der Sicherheit betrifft, Feindseligkeiten in der Öffentlichkeit, Attacken online, Beschimpfungen und Gewalt. Es ist absolut keine Übertreibung zu sagen, dass wir uns seit dem vergangenen Herbst in einem düsteren Loch befinden. Und auch wenn sich die Nachrichten mal etwas von Israel und Gaza entfernen, das Trauma unter britischen Jüdinnen und Juden bleibt.

Wo muss also mehr passieren?
Unsere Aufgabe im Dachverein ist eine praktische. Wir müssen alles tun, damit dieses Land ein sicherer und glücklicher Ort für die jüdische Gemeinschaft ist. Das Ausmaß an Judenhass, das wir seit Oktober 2023 über uns ergehen lassen mussten, ist beängstigend und darf nicht noch zunehmen. Als ich für dieses Amt kandidierte, habe ich gesagt, dass ich keinen Antisemitismus dulden werde. Ich plane, eine Antisemitismus-Kommission zu gründen, damit ein starker Fokus auf dem Thema liegt, und um Empfehlungen zur Bekämpfung zu geben. Ich fordere eine Überprüfung sämtlicher Gesetzgebung zu Hassverbrechen, deren polizeiliche Verfolgung und Verurteilung. Es ist wichtig, dass wir für Täter den robustesten Ordnungsrahmen haben. Wir werden uns die verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft vornehmen, um zu verstehen, was genau falsch gelaufen ist und was verbessert werden muss – in den Medien, im Internet, an Universitäten, Arbeitsplätzen, im Sport oder im Kunstbereich. Wir legen den Fokus auf den Extremismus, egal ob er aus dem rechtsextremen, linksextremen oder islamistischen Bereich kommt. Durch den Ausbau interreligiöser Arbeit in Erziehung und Bildung wollen wir die Wurzeln des Problems angehen.

Das Engagement für Israel sorgt sowohl für Unterstützung als auch kritische Haltungen, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Wie gehen Sie und der Board of Deputies damit um?
Die Massaker vom 7. Oktober haben uns allen das Herz zerrissen, und wir beten jeden Tag für Israel. Ja, es gibt alle möglichen Meinungen zur Israelpolitik. Mir gefällt die Tradition der Meinungsverschiedenheit als »LeSchem Schamaim« – im Namen des Himmels. Aber noch besser ist es, im gleichen Namen einer Meinung zu sein. Einstimmigkeit herrscht beim Thema Freilassung der Geiseln, dabei, sich gegen den Iran und dessen Unterstützer zur Wehr zu setzen, und der Absicht, den Friedenskreis auszuweiten, wie durch die Abraham-Abkommen oder die immer noch schwer vorstellbare Zweistaatenlösung.

Was heißt das praktisch?
Wir werden uns weiterhin lautstark bemerkbar machen, bis alle Geiseln nach Hause kommen. Wir beten ständig für sie, und unser Dachverein hat bei den Andachten in Westminster und auch vor dem schottischen Parlament eine führende Rolle übernommen. Außerdem haben wir das »Adoptiere eine Geisel«-Programm initiiert, in den Synagogen wird ein Platz für eine Geisel freigehalten, und wir leisten auch direkte Unterstützung für deren Familien. Der Board of Deputies ist eine stolze zionistische Organisation. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, Vorurteilen gegen Israel – ob in den Medien oder in der UN – entgegenzuwirken. Wir haben auch schon unsere Kapazitäten für diese Art von Arbeit erhöht, da uns klar ist, dass die anti-israelische Rhetorik Antisemiten Auftrieb gibt.

Gibt es bei alldem noch Raum für die internationale Zusammenarbeit mit jüdischen Gemeinden?
Die internationale Zusammenarbeit ist eine zentrale Aufgabe des Board of Deputies. Wir halten den Wert von »Kol Yisrael Arevim Ze BaZeh« hoch, alle Jüdinnen und Juden sind füreinander verantwortlich. Wir haben hervorragende Beziehungen zu den Gemeinschaften in Europa und dem Rest der Welt aufgebaut. Wir haben den französischen Dachverein bei uns willkommen geheißen, und wir hoffen, auch bald den Zentralrat der Juden in Deutschland zu begrüßen. Für mich ist das ein persönliches Anliegen. Schon bevor ich Präsident wurde, war ich Mitglied der jüdischen diplomatischen Gruppe des World Jewish Congress, und als Präsident des Board of Deputies bin ich nun einer ihrer Vizepräsidenten. Wir halten übrigens auch Beziehungen zu den Botschaften im Vereinigten Königreich, um über Themen, die den jüdischen Communitys hier und im Ausland wichtig sind, zu sprechen. Durch unsere Zusammenarbeit mit Botschaften des Nahen Ostens haben wir sogar eine kleine, aber wichtige Rolle bei den Abraham-Verträgen zwischen Israel, den Vereinigten Emiraten, Bahrain und Marokko gespielt. Wir halten den Dialog mit den arabischen Botschaften aufrecht. Nie war das notwendiger als jetzt.

Mit dem Präsidenten des Board of Deputies of British Jews sprach Daniel Zylbersztajn-Lewandowski.

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