Es ist früher Abend, im Teehaus »Amana« in der Alzbetina-Straße nehmen immer mehr Zuhörer auf den alten Holzstühlen Platz. Einst kamen über die gleiche Straße um diese Tageszeit die Juden aus dem Gottesdienst aus der nahegelegenen neologischen Synagoge. Heute ist dort die Philharmonie von Kosice untergebracht.
Die Stadt im Osten der Slowakei ist mit 230.000 Einwohnern die zweitgrößte im Land. Früher gab es hier eine große jüdische Gemeinde. Etwa 12.000 Juden, damals fast ein Viertel der Stadtbevölkerung, lebten vor dem Holocaust in Kosice. Heute sind es nur noch etwa 300.
teestube Vor allem junge Leute sind an diesem Abend gekommen; sie wollen Neuinterpretationen traditioneller jüdischer Musik hören. Der 23-jährige Komponist Michal Palko betritt die Teestube, er trägt eine Kippa auf dem Kopf. Außer einer Zimbel hat er auch sein Laptop mitgebracht. Darauf lässt er vor dem Publikum authentische Aufnahmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abspielen. Ein Junge singt auf Jiddisch ein Kinderlied, ein Chor besingt den Wein, es erklingen Trompeten einer Jazzband, und eine osteuropäische Streichercombo spielt einen ungarischen Tanz.
Die historischen Aufnahmen stammen von Juden, die vor und während des Zweiten Weltkriegs nach Eretz Israel ausgewandert sind. »Ich wollte das Andenken an diese Leute wiederbeleben. Deshalb habe ich die Aufnahmen mit meiner Musik ergänzt«, sagt Palko. Dann greift er zu seinem Instrument und begleitet die historischen Aufnahmen. Die Zimbelmusik gibt den alten Liedern eine andere Farbe. Rauschen und Knistern ist von den Aufnahmen digital entfernt worden, der ursprüngliche, manchmal sogar etwas schiefe Klang der Stücke ist jedoch geblieben.
studium Michal Palko stammt aus einer »gemischten« Familie. Sein Vater ist Katholik, die Mutter Jüdin. Während seines Studiums am Konservatorium in Kosice fing Palko an, sich für das Judentum zu interessieren und lernte Tora beim Kosicer Rabbiner Jossi Steiner.
Vor drei Jahren gründete Palko die »Mojse-Band«, die mit Zimbel, Akkordeon und Tuba jüdische Musik spielt. In der Slowakei ist er inzwischen ein angesehener Komponist. Seine Werke werden in den Konzertsälen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk des Landes gespielt.
Begleitet wird Michal Palko heute von Eva Schwardy. Die 39-jährige Musikerin spielt Blockflöte und singt. Die Flöte ergänzt die anderen Blasinstrumente auf den Aufnahmen. »Wir haben uns nicht um eine traditionelle Harmonisierung der Melodien bemüht. Die Interpreten von damals könnten sie so vielleicht nicht mehr wiedererkennen«, sagt Schwardy. Sie geht in ihren Liedern weit zurück in der Geschichte des europäischen Judentums und singt sogar eine jiddische Weise aus dem 19. Jahrhundert.
volkslieder Nach dem Konzert beginnt eine lebhafte Diskussion. Die Zuhörer interessiert vor allem, was die slowakische jüdische Musik auszeichnet. »Sie ist ganz anders als die Musik der deutschen, tschechischen und ungarischen Juden. Denn sie enthält nicht nur slawische, sondern auch Elemente aus Volksliedern der Ungarn und der Roma«, erklärt Palko.
Der junge Mann ist Mitglied der kleinen Reformgemeinde in Krakau, wo er zurzeit studiert. Die polnische Stadt rund 100 Kilometer nordwestlich von Kosice ist für ihre große jüdische Geschichte bekannt. Doch auch die Gemeinde von Kosice will künftig mehr von sich hören lassen. Einen Vorstoß gab es bereits vergangenes Jahr im Dezember, als an einem Abend von Chanukka die Gemeinde zum ersten Mal öffentlich Kerzen zündete. Dazu gab es im alten Rathaus ein Konzert mit Jazz-Verarbeitungen klassischer jüdischer Lieder.
»Das Konzert fand zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft der Stadt Kosice statt«, erzählt Peter Schwarz vom Vorstand der jüdischen Gemeinde. »Es ging uns darum, dass die nichtjüdischen Bürger mehr über die Feste anderer Religionen erfahren.«
Auch im Teehaus spricht man seitdem über jüdische Traditionen in der Ostslowakei. Man redet über koschere Bäckereien, die Erneuerung der jüdischen Friedhöfe, über den Einfluss der jüdischen Küche – und natürlich viel über Musik. Michal Palko und Eva Schwardy planen für die nächsten Monate weitere Konzerte. Und bald wollen sie eine CD ihrer Arrangements aufnehmen.