Sie ist von allen bislang am weitesten gegangen. Die Rede ist von Jana Černochová, der Außenministerin der Tschechischen Republik. Ihr Land sollte aus der UNO austreten, sagte sie merklich frustriert, nachdem die Vereinten Nationen ihre umstrittene Resolution zum Konflikt im Nahen Osten veröffentlicht hatten. Sie schäme sich für diese Resolution. »Tschechien hat nichts in einer Organisation zu suchen, die Terroristen unterstützt, aber nicht das grundlegende Recht auf Selbstverteidigung.«
Ihre Äußerungen fügen sich nahtlos in die tschechische Israel-Politik der vergangenen Jahrzehnte ein. »Ich denke, dass wir in Europa keinen besseren Freund haben als Tschechien«, betonte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schon 2012, als er auf Staatsbesuch in Prag weilte, und fügte an: »Das rechnen wir Ihnen in Israel sehr hoch an.« Sein Besuch vor elf Jahren diente vor allem dazu, sich zu bedanken. Tschechien hatte gerade dagegen gestimmt, Palästina bei den Vereinten Nationen einen Beobachterstatus zu verleihen. Es war schon damals eines der wenigen Länder auf der Welt, die dazu eine klare Position einnahmen.
Im aktuellen Konflikt setzt sich diese klare Linie Prags gegenüber Israel fort
Im aktuellen Konflikt setzt sich diese klare Linie Prags gegenüber Israel fort. Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala, Chef einer Mitte-Rechts-Koalition, trat unlängst auf einer Demonstration von Israel-Unterstützern in der tschechischen Hauptstadt auf. Tschechien werde die Stimme Israels in Europa sein, verkündete er und fügte hinzu: »Wir sollten uns auch bei internationalen Verhandlungen an Israels Seite stellen – ob in der EU oder bei den Vereinten Nationen.«
Dies sei umso wichtiger, weil man nicht nur einen Kampf gegen Terroristen führt, sondern ebenfalls um die richtige Deutung der Ereignisse. »Wir sind Zeugen einer neuen Welle von Antisemitismus in der Welt. Dies ist sehr gefährlich. Israel braucht Freunde.« Es gebe ohnehin nur wenige Länder, die bereit sind, sich auf internationaler Ebene für Israel einzusetzen, so Fiala weiter. »Ich bin stolz darauf, dass die Tschechische Republik zu ihnen gehört und wir uns auch auf eine langjährige Unterstützung Israels durch einen Großteil der tschechischen Gesellschaft verlassen können«, erklärte er.
Die engen Beziehungen zwischen Tschechien und Israel haben eine Tradition, die mehr als ein Jahrhundert zurückreicht. Damals gehörte die spätere Tschechoslowakei noch zum Habsburgerreich. In weiten Teilen der Gesellschaft gab es einen latenten Antisemitismus. Dieser gipfelte in der sogenannten Hilsner-Affäre, die zu einem Wendepunkt werden sollte. Denn 1899 wurde im böhmischen Städtchen Polna die Leiche einer jungen Frau mit durchgeschnittener Kehle gefunden. Sofort richtete sich der Volkszorn gegen den jüdischen Schustergesellen Leopold Hilsner – dahinter stand der Glaube an die Ritualmordlegende.
Hilsner wurde ohne Beweise zum Tode verurteilt. Aus Prag reiste damals ein Philosophieprofessor an, der die Sache auf eigene Faust unter die Lupe nahm und mit dafür sorgte, dass der ganze Fall neu aufgerollt wurde. Er bezog klare Position gegen den Ritualmord-Aberglauben. Sein Name: Tomáš Garrigue Masaryk.
Zerfall der Donaumonarchie
Fast zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1918, sollte er der erste Präsident der Tschechoslowakei werden, die nach dem Zerfall der Donaumonarchie neu gegründet wurde. Masaryk selbst war kein Jude, bezeichnete sich aber als Zionist und reiste in den Nahen Osten – eine Haltung, die ihm damals auch viele Anfeindungen einhandelte.
Dennoch, auf diese Weise wurde die Außenpolitik des Landes für Jahrzehnte geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg leistete die Tschechoslowakei dem jungen jüdischen Staat wichtige Aufbauhilfe und lieferte entgegen allen Embargos Waffen nach Israel. Die Unterstützung war aber nicht nur materiell. Das tschechoslowakische Militär sorgte auf seinen heimischen Flugplätzen auch für die Ausbildung der ersten israelischen Kampfpiloten.
In späteren Jahren, als die Kommunisten in Prag fest im Sattel saßen, verschlechterten sich die Beziehungen, schließlich war aus Israel entgegen anfänglicher Erwartungen vor allem der Sowjetführung kein sozialistischer Staat geworden. Die tschechischen Dissidenten jedoch schlugen sich – anders als die kommunistische Regierung – auf die Seite Israels.
Als dann 1989 der eiserne Vorhang fiel und die einstigen Dissidenten die Politik der Tschechoslowakei bestimmten, blieb diese Israel-Unterstützung für sie weiterhin eine wichtige Leitplanke. Vaclav Havel etwa, der erste Präsident nach dem Ende des Kommunismus, reiste kurz nach seinem Amtsantritt nach Israel – eine starke Geste, mit der die offiziellen Beziehungen wieder aufblühten.
Seither blieben sie stabil und eng, und das über alle Wechsel an der Spitze der Regierung hinweg, die es über die Jahre in Prag gegeben hat. Es gibt lediglich unterschiedliche Akzente, wie tschechische Politiker auf Israel blicken. Miloš Zeman beispielsweise, der Ende der 90er-Jahre Ministerpräsident war und von 2013 bis zum März 2023 als tschechischer Staatspräsident amtierte, empfahl der Regierung in Jerusalem wiederholt sogar die Vertreibung der Palästinenser – und verwies ausdrücklich auf die Vertreibung der Sudetendeutschen als Vorbild dafür.
Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober sollten es wieder die Tschechen sein, die sich sofort an die Seite Israels stellten. Der Prager Außenminister Jan Lipavský war der erste hochrangige Besucher in Israel, und zwar noch vor seinem britischen und amerikanischen Amtskollegen. »Dies bestätigt die langfristig überragend guten Beziehungen zwischen Tschechien und Israel«, verkündete er nach seiner Rückkehr.
Uneinigkeit herrscht in der Frage, ob die Botschaft in Tel Aviv oder Jerusalem sein soll
Uneinigkeit in der tschechischen Regierung herrscht lediglich zu der Frage, ob man mit seiner Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem umziehen sollte.
Während der Außenminister erklärte, dieser Überlegung zwar grundsätzlich zuzustimmen, aber zugleich anmahnte, nichts zu überstürzen, erklärte Ministerpräsident Fiala: »Israel braucht in diesen Zeiten auch eine moralische Unterstützung, selbst in Form symbolischer Maßnahmen.« Für ihn gehört daher eine Verlegung der Botschaft auf die politische Agenda – und genau die sollte man aus seiner Sicht so schnell wie möglich in Angriff nehmen.