USA

Zeugnis ablegen nach dem 7. Oktober

Die Shoah Foundation dokumentiert auch die Erlebnisse Überlebender des Hamas-Massakers

von Jessica Donath  16.05.2024 09:58 Uhr

»Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen«: die 27-jährige Millet Ben Haim Foto: USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education

Die Shoah Foundation dokumentiert auch die Erlebnisse Überlebender des Hamas-Massakers

von Jessica Donath  16.05.2024 09:58 Uhr

Es war eine aufwühlende Rede, die Steven Spielberg kürzlich an der University of Southern California hielt: Er sei zunehmend besorgt, »dass wir dazu verurteilt sein könnten, die Geschichte zu wiederholen und erneut um das Recht, Jude zu sein, kämpfen müssen«, sagte der Hollywoodregisseur anlässlich seiner Ehrung für die Erinnerungsarbeit der Shoah Foundation, die der 77-Jährige vor genau 30 Jahren gegründet hat.

Deren Arbeit wird auch der aktuellen Lage gerecht. Als viele Menschen nach den Hamas-Massakern des 7. Oktober 2023 noch mit Sprachlosigkeit kämpften, nahm die USC Shoah Foundation die Arbeit auf: Innerhalb von zwölf Tagen wurden in Israel Mitarbeiterteams mobilisiert, um Aussagen von Überlebenden zu dokumentieren, die im Stil denen ähneln, die seit 1994 mit Schoa-Überlebenden gemacht werden. Diese Audio- und Videointerviews sollen Teil der Sammlung Moderner Antisemitismus (Countering Antisemitism Through Testimony, deutsch: Antisemitismus mit Zeugenaussagen bekämpfen) werden.

Daten liefern

Bereits seit 2015 dokumentiert die Shoah Foundation neben dem Holocaust und anderen Völkermorden auch gewaltsame Auswüchse von Antisemitismus nach 1945. Diese Bemühungen wurden seit dem Antritt von Robert J. Williams als Direktor Ende 2022 noch verstärkt. Es sei wichtig, schnell zu handeln, um Wissenschaftlern, Journalisten und Völkerrechtlern wichtige Informationen und Daten liefern zu können, so der Historiker. Außerdem seien es nicht zuletzt die israelischen Überlebenden selbst, die ihre Geschichte erzählen wollten. »Besonders wenn sie um einen lieben Menschen trauern oder ein Familienmitglied als Geisel verschleppt wurde, wollen sie die Welt wissen lassen, wer die Leute sind.«

Aussagen wie die von Millet Ben Haim, die den Angriff auf das Nova-Festival überlebt hat, sind schwer auszuhalten. Die 27-Jährige bewunderte gerade mit Freunden den Sonnenaufgang, als der Raketenbeschuss begann. Kurz darauf hörten sie Schüsse und rannten um ihr Leben. Mit zwei weiteren jungen Frauen versteckte sie sich mehrere Stunden lang flach auf dem Rücken liegend unter Büschen. Sie hörten Schreie in der Nähe ihres Verstecks. »Wir verabschiedeten uns per Kurznachricht von unseren Familien und hatten mit dem Leben abgeschlossen«, berichtet sie gefasst. Gerettet wurden sie von einem Freiwilligen, der mit seinem Auto kam, um so viele Menschen wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen.

Bereits mehr als 250 Aufnahmen

Maor Moravia, 37, und seine Familie überlebten mehr als zehn Stunden im Schutzraum ihres Hauses im Kibbuz Kfar Aza, während draußen Hamas-Terroristen Menschen jagten. »Wir hätten nie gedacht, dass so etwas noch einmal passiert«, sagt er mit zitternder Stimme. Die Shoah Foundation arbeitet immer auch mit Therapeuten vor Ort, um sowohl den Überlebenden als auch ihren Teams, die die Interviews führen und transkribieren, die nötige Hilfe zukommen zu lassen. Zum Dokumentationsprozess gehört, dass die Überlebenden nach einigen Jahren erneut befragt werden, um zu erfahren, wie sie die Ereignisse verarbeitet haben und wie es ihnen in der Zeit danach ergangen ist.

»Ich hätte nicht erwartet, dass ich zu meinen Lebzeiten solch barbarische Übergriffe auf Juden erleben muss«, hatte Spielberg nach dem 7. Oktober gesagt. »Wir versprechen den Überlebenden, dass ihre Erfahrungen gesammelt werden, mit dem Ziel, Geschichte zu bewahren und Antisemitismus und Hass jeglicher Art in der Zukunft zu verhindern.«
Die schon mehr als 250 Aufnahmen von Überlebenden der Gräueltaten in Israel werden im Visual History Archive für die Nachwelt erhalten und zugänglich gemacht.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024