Herr Kardinal, Sie reisen zusammen mit Papst Franziskus an diesem Freitag nach Auschwitz. Was bedeutet der Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche im ehemaligen deutschen Vernichtungslager?
Sehr positiv ist, dass der Papst überhaupt nach Auschwitz kommt. Er ist zum Weltjugendtag nach Krakau gereist, aber es ist ihm wichtig, auch Auschwitz zu besuchen – als Zeichen der Verbundenheit mit den Juden und auch als Zeichen, dass das grauenhafte Ereignis des Holocaust nicht vergessen werden darf.
Anders als seine Vorgänger, Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI., will Franziskus öffentlich schweigen. Wie ist das zu verstehen?
Ich denke, jeder Papst gestaltet den Besuch so, wie er es für angemessen hält. Es hängt natürlich auch vom Charakter der Reise ab. Aber wie gesagt, die Hauptsache ist, dass die Päpste Auschwitz besuchen.
Hunderttausende junger Teilnehmer des Katholikentreffens in Krakau werden am Wochenende nach Auschwitz kommen. Was kann eine solche Erfahrung bewirken?
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass auch junge Menschen an diese grausame Stätte gehen, um zu sehen, was wirklich geschehen ist – damit es nicht dem Vergessen anheimgegeben ist. Und vor allem auch, dass es eine erschütternde Erfahrung ist und dass so etwas nicht mehr geschehen darf.
Bewirkt ein kathartisches Erlebnis allein denn wirklich eine gründliche Auseinandersetzung mit der Geschichte?
Der Besuch in Auschwitz kann natürlich ein Anstoß sein, sich intensiver damit zu beschäftigen. Soviel ich weiß, hat man in Auschwitz auch von christlicher Seite vieles vorbereitet, um die Jugendlichen zu begleiten, wenn sie damit konfrontiert werden, und um ihnen die Geschichte zu zeigen und Fragen zu besprechen, die aufbrechen können. Was genau in der Seele jedes einzelnen Menschen geschieht, das ist sowieso nicht überschaubar.
Sind Sie selbst schon einmal dort gewesen?
Ich habe schon sehr oft das ehemalige Konzentrationslager Dachau und andere KZ besucht. Das sind immer bewegende und erschütternde Ereignisse. Aber in Auschwitz, das ein besonders großes Symbol des Grauens ist, war ich noch nie.
Der Papstbesuch in Auschwitz soll ein Zeichen der Verbundenheit mit den Juden sein. Ein Zeichen des Dialogs war das Dokument des Vatikans, der sich 2015 von der Judenmission distanziert hat. Orthodoxe Rabbiner haben das Dokument in einer Erklärung begrüßt. Wie kann es weitergehen?
Zunächst einmal bin ich sehr dankbar für die gemeinsamen Erklärungen von jüdischer Seite. Das sind positive Zeichen. Vielleicht sind sie ansteckend und regen noch mehr an. Das wäre sehr positiv. Denn der Dialog zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum muss weitergehen und muss vertieft werden.
Mit dem Kurienkardinal und Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sprach Ayala Goldmann.