Griechenland

Zehn Millionen für 500.000 Gräber

Zeugen: zerbrochene Steine Foto: flickr

Knapp 70 Jahre nach der Enteignung ihres Friedhofs werden die Juden von Thessaloniki entschädigt. Vor dem Zweiten Weltkrieg beherbergte die Stadt mit rund 56.000 Mitgliedern die größte sefardische Gemeinde Europas. Die meisten wurden 1943 von den deutschen Besatzern nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Rund 2.000 überlebten die Schoa.

Seit 1962 stand die Gemeinde im Rechtsstreit mit der örtlichen Aristoteles-Universität. Deren Campus war auf dem Gelände des 500 Jahre alten Friedhofs, der einst zu den größten Grabstätten Europas zählte, errichtet worden. Die deutschen Besatzer, Wehrmacht und SS, hatten den historischen Friedhof mit seinen rund 500.000 Gräbern 1942 zerstört. Nach dem Holocaust übereignete die griechische Regierung den Guten Ort der Universität.

Gesetz Knapp zehn Millionen Euro möchte der finanziell angeschlagene Staat nun der jüdischen Gemeinde als außergerichtlichen Vergleich zahlen. In die Wege geleitet wurde das Unternehmen bereits von der 2009 abgelösten konservativen Regierung. Wie in solchen Fällen üblich, wurde die Entschädigungszahlung als Nebensatz in ein vom Parlament beschlossenes Gesetz eingebaut. Zusammen mit der Summe an die jüdische Gemeinde beschloss der griechische Staat die Zahlung von mindestens 35 Millionen Euro an die von einer privaten Stiftung betriebene Opernhalle von Athen, das Megaron Mousikis. Das eigentliche Gesetz, in dessen Rahmen beide Regelungen untergebracht wurden, betraf das aktuelle Steuerrecht.

Dieser Umstand ist insofern bemerkenswert, da die jüdische Gemeinde Thessaloniki und der Zentralrat der Juden in Griechenland die beabsichtigte Entschädigung in keiner Presseerklärung erwähnt haben. »In der Tat gab es kein großes mediales Echo hinsichtlich der Entschädigung«, sagte Zentralratspräsident David Saltiel der Jüdischen Allgemeinen. »Es ist ein ethisches Thema, das nun endlich eine Lösung findet. Wir wollen aber auch noch erreichen, dass auf dem Campus eine Gedenktafel errichtet wird, die an den Friedhof und seine Geschichte erinnern soll.« Man sei sehr zuversichtlich, fügte Saltiel hinzu, der auch Vorsitzender der Gemeinde Thessaloniki ist. Selbst die Massenmedien des Landes halten sich bei der Berichterstattung über das Thema zurück. Offensichtlich will man keinen Anlass für antisemitische Hetze liefern.

Kritik Das Steuergesetz selbst wurde von allen Oppositionsparteien massiv kritisiert, die Zahlung an das Opernhaus ebenso. Hinsichtlich der Entschädigung an die jüdische Gemeinde jedoch hielt sich die größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, zurück. Schließlich hatte sie selbst die Verhandlungen eingeleitet, als sie noch die Regierung stellte. Auch seitens der linken Opposition gab es zu diesem Thema keinen Widerstand.

Sie wettert zwar gern gegen Israels Siedlungspolitik, hat dem Judentum gegenüber aber kaum Berührungsängste. So wurde der vor wenigen Wochen im Alter von 93 Jahren verstorbene jüdische Partisan Moses Bourla vom Parteiorgan der linken Syriza mit den Worten »Er war immer ein Grieche, Jude und Linker« verabschiedet.

Die Entschädigungsregelung hätte keinerlei besonderes öffentliches Interesse erregt, wenn die rechtspopulistische LAOS nicht einen Skandal gewittert hätte. Georgios Karatzaferis, der Parteiführer der parlamentarischen Rechtsausleger, griff Ministerpräsident Giorgos Papandreou persönlich an. Dieser würde fremde Religionen wie den Islam und das Judentum fördern, während gleichzeitig Grundstücksgeschäfte christlicher Klöstern zum Skandal erklärt würden.

Vor knapp zwei Jahren hatte ein dubioser Grundstücksdeal des Klosters Vatopedi den Niedergang der konservativen Regierung Karamanlis eingeläutet. Karatzaferis lieferte mit seinem Statement eine Steilvorlage für neonazistische Splitterparteien, die in zahlreichen antisemitischen Veröffentlichungen die Rechtmäßigkeit der Ausgleichszahlungen an die jüdische Gemeinde schmähten.

Finanzminister Georgios Papaconstantinou regierte auf solche Angriffe mit einer Stellungnahme im Parlament. »Bereits die vorherige Regierung hat den Weg eines außergerichtlichen Vergleichs eingeleitet. Dieser Weg ist eine ethische Verpflichtung des Staats. Wir können nicht so tun, als wüssten wir nicht, was damals in Thessaloniki geschah.«

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025