Laura Marks spricht sehr ernst mitten in den Vorbereitungen zum Mitzvah Day in Großbritannien. Sie sitzt in ihrem Büro neben dem jüdischen Gemeindezentrum JW3 im Londoner Norden. Die vergangenen Wochen waren alles andere als einfach, für britische Juden genauso wenig wie anderswo.
»Durch den zunehmenden Antisemitismus und Attacken wie jener in Pittsburgh liegt es auf der Hand, dass man sich in der eigenen Welt versteckt«, sagt Marks. »Und genau deshalb hat gerade der Mitzvah Day so große Bedeutung«, glaubt sie.
Laura Marks steht für den Erfolg und die Verbreitung der alljährlichen Feier des jüdischen Sozialeinsatzes, den sogenannten Mizwa-Tag. Sie war es, die die Idee aus den USA nach Großbritannien brachte und dort ausbaute.
Einer der Veranstaltungsorte ist die große Moschee im Osten der Stadt. Hier sollen Juden und Muslime gemeinsam kochen.
weltweit Heute gibt es den Mitzvah Day nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch in Deutschland, Polen, Australien, Südafrika und vielen anderen Ländern. An jenem Tag – dieses Jahr ist es der kommende Sonntag, 18. November –, beschreibt Marks, »geht es darum, aus der Gemeinschaft herauszutreten in die Nachbarschaft, um die sozial Ausgeschlossenen und Vereinsamten zu erreichen«. Dieses Jahr ist jedoch ein besonderes Jahr für Laura Marks und ihr Team, denn der Mitzvah Day wird zehn Jahre alt.
Marks erinnert sich noch gut an die Anfänge im Norden Londons in jenem stickigen Raum mit defekter Heizung, wo alles 2008 mit rund 100 Freiwilligen begann. Man besuchte gemeinsam ältere Leute, sang und tanzte. Schon damals hatte sich jeder eines der bis heute zum Merkmal gewordenen grünen T-Shirts angezogen, auf denen »Mitzvah Day« steht.
»Es geht um das Gefühl, das nur dann aufkommt, wenn ein Mensch einem anderen wirklich geholfen hat«, sagt Marks. Sie lernte dies erst zu schätzen, nachdem sie einmal in ihrer Rolle als Vorsitzende von einer zur anderen Veranstaltung gerannt war und sich am Ende des Tages vollkommen ausgelaugt und leer fühlte.
Seitdem begeht sie den Mitzvah Day trotz ihrer Position genauso wie alle anderen und nimmt nur noch an einer einzigen Veranstaltung teil. Dadurch entstehen echte, länger andauernde zwischenmenschliche Beziehungen. Auch andere Dinge wurden im Laufe der vergangenen zehn Jahre klarer, zum Beispiel, dass an diesem Tag kein Geld gesammelt werden dürfe, sagt Laura Marks. Vielmehr sollte man zusammen etwas unternehmen, wie gemeinsam kochen und eine Mahlzeit miteinander einnehmen.
Marks erwähnt dies nicht zufällig, sondern es ist eines der Hauptthemen in diesem Jahr. Zum zehnjährigen Jubiläum soll der Mitzvah Day einen Rekord im Hühnersuppekochen aufstellen, und nicht nur mit echter Hühnersuppe, sondern auch mit einer vegetarischen Suppe, für all jene, die kein Huhn essen. Auch das solle ein Beitrag zur Inklusion sein, sagt Marks.
moschee Einer der Londoner Veranstaltungsorte ist die große Moschee im Osten der Stadt, eines der größten muslimischen Bethäuser Europas. Hier sollen Juden und Muslime gemeinsam kochen. Rabbi Roni Tabick von der Masorti-Gemeinde in Stoke Newington will mitmachen und 1000 Portionen zubereiten. »Wir kochen nach jüdischem Rezept, aber mit Halal-Geflügel.« Das sei okay, da die Suppe größtenteils an die nichtjüdische Bevölkerung ginge. »Für mich gilt dieser Tag als Akt gegen Hass und als Ausdruck der Liebe«, sagt Tabick.
Schon 2008, also ganz am Anfang, habe es etwas Ähnliches gegeben, erinnert sich Marks, allerdings nicht in London, sondern in Nottingham. Auch damals kochten Juden und Muslime gemeinsam.
Marks ist überzeugt, dass dauerhafte Beziehungen zu Mitgliedern der muslimischen Community die Zivilgesellschaft stärken.
Karen Worth ist eines der heutigen Mitglieder der kleinen liberalen Synagoge in Nottingham. »Unser Einsatz in Nottingham, beispielsweise für Flüchtlinge aus Syrien, geht über die Größe unserer Gemeinde hinaus«, sagt sie. Inzwischen gibt es eine offizielle Salaam-Schalom-Kochinitiative, die jeden Mittwoch gemeinsam für Menschen in Not Essen zubereitet.
In den nächsten Tagen wird selbstverständlich auch dort Hühnersuppe gekocht, allerdings nur deren vegetarische Version, da die Küche ausschließlich vegetarisch ist. »Was der Mitzvah Day für uns bedeutet? Beziehungen und Gemeinschaft aufbauen«, sagt Karen Worth, ohne lange überlegen zu müssen.
freiwillige Laura Marks sind diese besonderen Begegnungen von Juden mit anderen besonders wichtig. In einigen Wochen wird es eine weitere Begegnung dieser Art geben: zu Weihnachten, wenn jüdische Freiwillige christliche Stiftungen dabei unterstützen, Obdachlose zu versorgen, oder bei der muslimischen Sadaqah-Initiative mithelfen, die ähnlich wie der Mitzvah Day Hilfsbedürftige unterstützt.
Marks ist überzeugt, dass dauerhafte Beziehungen zu Mitgliedern der muslimischen Community die Zivilgesellschaft stärken – wenn man die Politik außen vor lässt und das Menschliche betont.
Zak Hussein, einer der Direktoren der muslimischen Hilfsorganisation Muslim Aid, die das Hühnersuppekochen in der Ost-Londoner Moschee koordiniert, sieht dies ähnlich. Er sagt, Islam und Judentum sei gemein, dass man sich für Menschen aufopfere, egal wer sie seien, oder woran sie glaubten. Auch im Islam heiße es, ähnlich wie in der jüdischen Tradition, wer ein einziges Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.
Hussein freut sich zutiefst darüber, dass man in der Moschee gemeinsam jüdische Hühnersuppe koche – eine Suppe, die zum traditionellen Symbol der Stärkung geworden ist.
»Im Islam gibt es eine Bemerkung zu Suppen in einer Hadith des Koran«, sagt Hussein: »Wenn du eine Brühe vorbereitest, füge ihr viel Wasser bei und gebe etwas davon deinen Nachbarn.«
Genau das soll auch am kommenden Sonntag beim Mitzvah Day geschehen, nicht nur in Ost-London, sondern im ganzen Land.
www.mitzvahday.org.uk