Lebende Legenden

»Wüsste nicht, wie ich aufhören sollte«

Frank Gehry Foto: picture alliance / Photoshot

Schon als kleiner Junge baute Frank Gehry mit seiner Großmutter Leah Caplan ganze Städte. »Meine Oma hat Holzklötze mit nach Hause gebracht für den Ofen. Und sie hat sie auf den Boden geworfen und Städte mit mir gebaut«, erinnert sich der Architekt, der heute 95 Jahre alt wird, in einem Interview des kanadischen Rundfunks CBC. »Ich weiß nicht, warum sie sich entschieden hat, das zu machen. Architektur spielte in meiner Familie damals keine Rolle. Aber das ist eine wichtige Erinnerung.«

Inzwischen gehört Gehry längst du den berühmtesten und begehrtesten Architekten der Welt. Auf der ganzen Welt stehen Gebäude des Pritzker-Preisträgers, darunter der Neue Zollhof in Düsseldorf, das Vitra Design Museum in Weil am Rhein, das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Walt-Disney-Konzerthalle in Los Angeles, die Art Gallery of Ontario in Toronto, die Stiftung Louis Vuitton in Paris, die Dwight-D.-Eisenhower-Gedenkstätte in Washington und Wohngebäude unter anderem in Prag, New York und vielen anderen Städten. In Abu Dhabi entsteht zudem gerade die dortige Zweigstelle des Guggenheim unter Gehrys Leitung.

Der Architekt wurde 1929 in einfachen Verhältnissen als Ephraim Owen Goldberg in Toronto geboren. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Polen. Als Teenager zog die Familie nach Los Angeles weiter, wo Gehrys Vater und auch er selbst Jobs als Lastwagenfahrer annahmen. Auf einer Abendschule, wo er den Abschluss nachmachte, entdeckte ein Lehrer sein Interesse für Architektur und unterstützte ihn.

Erste Aufträge

In den 60er Jahren gründete Gehry dann sein eigenes Architektur-Studio in Los Angeles und bekam erste Aufträge. »Gebäude sind der Hintergrund für Aktivität, aber die Aktivität muss Leben sein. Es muss mehr sein als Geld zu machen. Es ist eine kulturelle Sache und sie bringt Menschen zusammen, um miteinander zu sprechen, zu leben und zu arbeiten. Das Gebäude alleine ist nicht so relevant.« Er habe sich immer mehr als Künstler gesehen, sagt Gehry. Schon in der Schule habe er immer mehr mit den Künstlern als mit den Architekten abgehangen: »Weil ich gefühlt habe, dass ich dorthin gehöre. Das ist immer noch so.« US-Künstler Ed Ruscha ist bis heute ein enger Freund.

Seiner Architektur ist das anzusehen. »Ich habe ästhetisch nach einer Art Bewegung in den Werken gesucht. Ich war genervt von der Postmoderne und der Tendenz, griechische Tempel wiederzukäuen. Ich dachte, gut, wenn wir schon zurückgehen, dann gehe ich 300 Millionen Jahre zurück, bevor es überhaupt Menschen gab, zu den Fischen. So wurden Fische Teil meines Vokabulars - und das nicht nur, weil auch schon meine Großmutter die immer mit nach Hause gebracht hatte.«

Das führt zu reinen Fisch-Skulpturen wie in Barcelona, aber auch zu Bauwerken, deren Oberflächen an Schuppen erinnern und die sich bewegen zu scheinen wie durch Wasser. Besonders deutlich wird das am 1997 fertiggestellten Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao - ein dekonstruktivistisches, funkelndes Wunderwerk aus Glas, Titan und Kalkstein, das schnell ein beliebtes Touristenziel wurde.

Kurven im Regen

»Als ich das erste Mal diese Kurven im Regen gesehen habe, warm glühend, habe ich geweint. Als ich gelernt hatte, dass Metall Emotionen ausdrücken kann, habe ich mich nach anderen Wegen umgesehen, das umzusetzen. Ich versuche, ein Gefühl einzufangen.«

Das Guggenheim in Bilbao begeistert auch Menschen, die sonst wenig mit Architektur anfangen können. Der 2005 gestorbene Architekt Philip Johnson bezeichnete es einmal als »das großartigste Gebäude unserer Zeit«. Aber nicht alle finden so großen Gefallen am wilden und experimentellen Stil Gehrys, für manche Kritiker sind seine Bauten nicht mehr als sündhaft teure Spielzeuge eines Egozentrikers. »Die Museumswelt denkt ja, ich mache absichtlich schräge Ausstellungsräume, um es den Künstlern schwer zu machen, aber das stimmt nicht«, sagte Gehry einmal der Deutschen Presse-Agentur. »Ich mag nur diese weißen Schuhschachteln nicht. Neutralität ist nicht neutral, sie entwertet Kunst.«

Einen Computer benutzt Gehry bis heute nicht. Modelle denkt er mit seinen Händen: Er zerknittert Pappe oder zerreißt Papier und klebt die Fetzen zusammen. Weil sich solch komplexe geometrische Gebilde kaum stabil und günstig bauen lassen, entwickelt Gehrys Studio, in dem inzwischen auch ein Sohn mitarbeitet, sogar ihre eigene Design-Software mit ähnlichen Mitteln wie die Luft- und Raumfahrtindustrie.

In den Ruhestand zu gehen? Das könne er sich auch mit 95 gar nicht vorstellen, sagt Gehry. »Ich wüsste nicht, wie. Ich denke mal, die Uhr wird stehenbleiben, wenn sie es will.«

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