Wer daran zweifelte, ob Festivaldirektor Alberto Barbera sein Publikum in Venedig richtig einschätzte, als er Woody Allen mit seinem neuen Film »Coup de chance« einlud, fand sich lautstark widerlegt: Der Name des 87-Jährigen, in seiner Heimat USA wegen Jahrzehnte alter Vorwürfe in Ungnade gefallen, wurde am Lido schon zu Beginn in den Credits heftig beklatscht.
Die Ovation im Anschluss an die Premiere unterbrach der Regisseur aus New York selbst vorzeitig, in dem er sichtlich bewegt den Saal verließ. Die Reaktionen auf »Coup de chance«, Allens 50. Kino- und ersten französischsprachigen Film, waren enthusiastisch. »Das ist der Woody Allen, den wir lieben!«, war vielerorts zu hören; es sei sein bester Film seit Jahren.
»Coup de chance« variiert ein Thema, das Allen in »Matchpoint« oder »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« schon durchgespielt hat: Was, wenn ein Mann mit Mord davonkäme? Wo in den früheren Filmen die Krisenbewältigung und die Karriere nach der Tat im Vordergrund standen, untersucht Allen diesmal die Rolle des Zufalls.
Zufällig begegnen sich in Paris Fanny (Lou de Laâge) und Alain (Niels Schneider) wieder. Einst haben sie gemeinsam eine französische Schule in New York besucht; nun führt Fanny an der Seite des reichen Geschäftsmanns Jean (Melvil Poupaud) ein luxuriöses Großstadtleben und Alain lebt als Schriftsteller-Bohemien in einer kleinen romantischen Dachwohnung. Absehbar entwickelt sich ihre Affäre stürmisch. Fanny will ihren Mann verlassen. Aber dann verschwindet Alain spurlos. Hat Jean etwas damit zu tun?
In einer der vielen raffinierten Wendungen ist es ausgerechnet Fannys krimi-besessene Mutter Aline, die Verdacht schöpft - wobei der Zufall erneut die Oberhand behält.
Mit einem Humor, der völlig ohne Klamauk oder Slapstick auskommt und sich ganz aus dem trockenen Rhythmus der Dialoge und Situationen im flotten Erzähltempo ergibt, liefert »Coup de chance« so etwas wie Woody Allen in Essenz. Der Film, in Venedig außerhalb des Wettbewerbs vorgestellt, hinterlässt jedenfalls den Wunsch, er sei doch nicht, wie von Allen angedeutet, sein letzter.