Ein unscheinbares Haus, eingeklemmt zwischen einem Restaurant und einem Fotogeschäft an einer belebten Hauptstraße im Zürcher Viertel Wiedikon, wo besonders viele orthodoxe jüdische Familien leben. Seit mehr als 30 Jahren befindet sich hier einer der wenigen Schatnes-Überprüfungsorte in der Schweiz. Einen weiteren gibt es in Basel. Beide Betreiber benutzen den Begriff »Labor«.
Labor ist dabei allerdings eine etwas irreführende Bezeichnung, denn hier sitzen nicht mehrere Menschen in weißen Kitteln hinter Reagenzgläsern oder Mikroskopen, sondern es gibt nur einen einzelnen Mitarbeiter: Joel Pollach. Er ist der Betreiber des Labors und macht sozusagen Jagd auf Schatnes.
»Schatnes« bezeichnet die Kleidermischung aus Wolle und Leinen, also ein Mischgewebe, das religiöse Juden nicht tragen dürfen. Anzüge, aber auch Leinenkleider oder sogar Schals können Schatnes enthalten.
Tora Das Verbot von Schatnes findet sich an zwei Stellen in der Tora, etwa im 5. Buch Mose: »Du sollst kein Gewebe tragen, in dem Wolle und Leinen vermischt sind« (22,11).
Was genau die Gründe für das Verbot sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Stuttgarter Rebbetzin Noemi Berger schrieb 2012 dazu in der Jüdischen Allgemeinen: »Das Schatnesverbot basiert vermutlich auf dem Gedanken der Heilighaltung der je eigenen g’ttlichen Schöpfung des Menschen, der Pflanzenarten und jener Tiere, die die Grundlage für die Stoffe liefern.«
Maimonides, der Rambam (1135–1204), begründet das Verbot damit, dass der Mensch nicht zusammenfügen soll, was Gott bei der Schöpfung getrennt habe.
Labor-Betreiber Joel Pollach drückt es in einer Anzeige, die er in einer Schweizer jüdischen Zeitung aufgegeben hat, noch drastischer aus: Die jüdischen Schriftgelehrten seien der Meinung, wer Schatnes trage, dessen Gebete würden 40 Tage lang nicht erhört. Deshalb schlussfolgert Pollach: »Wir sollten kein Risiko eingehen und unsere Kleider lieber einmal zu viel auf Schatnes kontrollieren lassen«. Besonders vor Pessach haben das auch sehr viele zumeist Orthodoxe aus dem jüdischen Zürich und Umgebung getan. Das hat damit zu tun, dass in der Omerzeit zwischen Pessach und Schawuot (bei einigen nur bis Lag BaOmer, dem 33. Tag des Omer-Zählens) keine Kleidungsstücke eingekauft und neu getragen werden dürfen, denn diese Wochen gelten als Trauerzeit.
Purim »Wohl auch aus diesem Grund beginnt die Nachfrage nach meinem Service bereits vor Purim zu steigen«, berichtet Pollach. In den Tagen und Wochen vor Pessach musste er gar Überstunden machen. Er führt die Kontrollen selbst durch, Hilfe hat er im Normalfall nicht, nur manchmal unterstützt ihn jemand aus der Familie. Um zu überprüfen, ob ein Kleidungsstück aus Mischgewebe besteht, muss er es an den entsprechenden Stellen auftrennen und genau untersuchen.
Von Vorteil für Pollach ist, dass er früher einmal eine Ausbildung zum Kürschner gemacht hat. Auch wenn er den Beruf heute nicht mehr ausübt, weiß er doch, wie man mit Kleidung umgeht: »Ich kann daher schnell arbeiten. Im Normalfall bin ich nach einer Stunde fertig, das heißt, ich habe, falls tatsächlich Mischgewebe enthalten war, einen der beiden Stoffe herausgenommen.«
Neben Pessach sei auch vor den Feiertagen im Herbst der Andrang groß, berichtet Pollach. Da er das Labor nebenberuflich und nur an bestimmten Abenden betreibt, würden oft schon mehrere Kunden auf Einlass warten, wenn er den Raum aufschließt. »Das zeigt mir, dass wir einen wichtigen Stellenwert im jüdischen Zürich haben.«
Kundschaft Allerdings bekomme er zu spüren, dass man auch in streng orthodoxen Kreisen der Stadt immer häufiger zur Schatnes-Prüfung nach Israel reist. »Viele Charedim, die hier leben, kaufen bei diesen Besuchen ihre Kleidung für die Feiertage und den Alltag in Geschäften, die die Ware bereits auf Schatnes geprüft haben.« Diese Kundschaft falle weg, sagt Pollach.
Dennoch würden genügend Aufträge für ihn übrig bleiben. Allerdings: Pollach sieht seine Arbeit im Labor mindestens ebenso als Dienst an der Tora und ihren Geboten wie als Parnassa, als Verdienstmöglichkeit. Pro Kleidungsstück bleiben ihm umgerechnet etwa 30 Euro, sagt er. Für Schweizer Verhältnisse ist das ein eher bescheidener Betrag.