Berlin

Wohl letzte Schülerin der Jüdischen Mädchenschule wird 100

Rachel Shapiro feiert in diesen Tagen ihren 100. Geburtstag und könnte die letzte Schülerin der Jüdischen Mädchenschule in Berlin sein, die noch lebt. Und sie ist die Großtante von Amnon Seelig, der als Kantor bei der Jüdischen Gemeinde zu Mannheim amtiert. Seit mehreren Jahrzehnten wohnt sie bereits in New York, wo sie als Wahrsagerin und Hellseherin arbeitete. »Wir erfreuen uns immer an ihrem wachen Geist und ihrer Lebendigkeit«, sagt Varda Spira-Seelig, Amnons Mutter, über ihre Tante. Nun sei sie leider gestürzt und liege im Krankenhaus.

1924 wurde sie als Rachel Spira geboren und wuchs in Prenzlauer Berg in Berlin in der Choriner Straße 69 auf. Sie hatte noch zwei ältere, mittlerweile verstorbene Brüder, die die Schule in der Rykestraße besuchten. »Zur Mädchenschule ging sie nicht gerne«, sagt ihre Nichte.

Die jüdische Mädchenschule wurde 1835 gegründet und zog nach verschiedenen Zwischenstationen 1930 in die Auguststraße. Zu Fuß musste sie die eineinhalb Kilometer lange Strecke laufen. Sie mochte ihre Lehrerin nicht und zog es vor, sich in ihr Geheimversteck zu begeben, als die Schulbank zu drücken. »Rachel hatte schon immer ihren eigenen Kopf«, so die Nichte. Das ging so weit, dass die Lehrerin ihre Eltern aufforderte, zu einem Gespräch zur Schule zu kommen.

Ihre Familie besaß ein Konfektionsgeschäft für Herren. »Ihr Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Sie verfügten über ein gutes Einkommen und lebten in einer schönen Wohnung.« Rachel sei ein wildes, kluges Kind mit vielen Talenten gewesen, berichtet die Nichte. Als sie zehn Jahre alt war, emigrierte die Familie ins damalige Palästina. Einen Schulabschluss konnte sie nicht mehr machen. Im Jahr 1942 musste ihre Mädchenschule schließen.

Auch in Palästina hatte sie keine Möglichkeit mehr, weiter eine Schule zu besuchen. »Damals sollten alle arbeiten«, so Varda Spira-Seelig. Die Zeit der 30er-Jahre bis zum Ende des Krieges sollen hart gewesen sein. Danach verbesserte sich die Situation der Familie. Als junge Frau verliebte sich Rachel in einen englischen Offizier, der in Palästina stationiert war. Mit ihm reiste sie nach Großbritannien, als das englische Mandat auslief und die britische Armee sich aus dem Land zurückzog. Doch seine Mutter soll gegen eine Hochzeit gewesen sein, da sie Jüdin ist. Rachel akzeptierte schweren Herzens seine Entscheidung, sie nicht zu heiraten und reiste in die USA. 1948 lernte sie ihren späteren Ehemann Irving Shapiro kennen, mit dem sie zwei Töchter bekam.

Trotz der großen Entfernung war sie öfter in Europa und lernte die Wahrsagerei, wahrscheinlich auch in der Türkei und von Sinti und Roma. »So genau hat sie das nicht verraten. Rachel ist eine sehr spirituelle Person und war sehr erfolgreich in ihrem Beruf.« Ihre Klienten kamen aus den unterschiedlichsten Ländern. Ferner hat sie zwei Bücher geschrieben, einmal über ihre spirituelle Welt und Arbeit, »Everything Talks to Me«  (»Alles spricht zu mir«); und den autobiografischen Roman »Ice in the Sun« (»Eis in der Sonne«). Ebenso hat sie Lieder gedichtet und sie vertont. »Wir besitzen Aufnahmen, bei der sie sich mit dem Klavier beim Singen begleitet. Sie hat sich sehr viel selbst beigebracht.« Die Songs erinnern an die Lieder, die Marlene Dietrich gesungen hat. Ihre jüngere Tochter ist vor ein paar Jahren verstorben. Ihr Ehemann ebenfalls.

Rachel reiste mehrmals nach Israel, um ihre Eltern zu besuchen. Nach dem Tod ihrer Mutter, zog ihr Vater zu ihr. Ihr älterer Bruder war bereits auch schon in den USA. Nur der jüngere Bruder, Amnon Seeligs Großvater, blieb in Israel. 1969 besuchte Rachel Berlin und die Choriner Straße 69. Das Gebäude hat die Schoa unbeschadet überstanden. Nun hofft die Familie, dass Rachel rasch wieder auf die Beine kommt und sie aus weiter aus ihrem Leben erzählt.

Gerichtsurteil

Haftstrafen für Gewalt gegen Israelis in Amsterdam

In digitalen Chat-Gruppen war der Anklage zufolge zu einer »Jagd auf Juden« aufgerufen worden

 24.12.2024

Kanada

Jüdische Mädchenschule in Toronto zum dritten Mal beschossen

Auch im vermeintlich sicheren Kanada haben die antisemitischen Angriffe extrem zugenommen - und richten sich sogar gegen Kinder

 23.12.2024

Bulgarien

Kurzer Prozess in Sofia

Der jüdische Abgeordnete Daniel Lorer wurde von seiner Partei ausgeschlossen, weil er nicht zusammen mit Rechtsextremisten stimmen wollte

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Großbritannien

Gerechtigkeit und jüdische Werte

Sarah Sackman wurde als frisch gewählte Abgeordnete zur Justiz-Staatsministerin ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  23.12.2024

Spanien

Tod in den Bergen

Isak Andic, Gründer der Modekette Mango und Spross einer sefardischen Familie aus der Türkei, kam bei einem Familienausflug ums Leben

von Michael Thaidigsmann  23.12.2024

Australien

»Juden raus«-Rufe vor Parlament in Melbourne

Rechtsextremisten haben vor dem Regionalparlament in Melbourne antisemitische Parolen skandiert

 23.12.2024

Guatemala

Rund 160 Kinder vor ultraorthodoxer Sekte gerettet

Laut Behördenangaben wurden auf dem Gelände von »Lev Tahor« mutmaßliche sterbliche Überreste eines Kindes gefunden

 22.12.2024

Analyse

Putins antisemitische Fantasien

Der russische Präsident ist enttäuscht von der jüdischen Diaspora im Westen und von Israel

von Alexander Friedman  22.12.2024

Diplomatie

Israel und Irland: Das Tischtuch ist zerschnitten

Politiker beider Länder überhäufen sich mit Vorwürfen. Wie konnte es so weit kommen?

von Michael Thaidigsmann  18.12.2024