USA

»With Jews we lose«

Demonstration der White Patriot Party in Gainesville, Georgia, April 2014 Foto: dpa

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»With Jews we lose«

Seit einiger Zeit nimmt der verbale Antisemitismus ab – aber es gibt mehr Gewalt gegen Juden

von Daniela Breitbart  09.02.2015 17:41 Uhr

Schenkten wir den amerikanischen Autoren Dennis Prager und Joseph Telushkin Glauben, bestünde dieser Artikel aus einem einzigen Satz: In den USA gibt es keinen Antisemitismus. Amerikanische Juden, so schreiben Prager und Telushkin in ihrem Buch Why the Jews? (Warum die Juden?), das die Gründe und Hintergründe des Antisemitismus erforscht, lebten in den Vereinigten Staaten »wie im Paradies«. Antisemitismus gebe es nur außerhalb der USA, vor allem in Europa, so die beiden Autoren.

Auch der frühere Präsident der amerikanischen Union for Reform Judaism, der Rabbiner und Autor Eric Yoffie, sieht weder die Sicherheit noch das Wohlergehen der Juden in den USA in Gefahr. »Es gibt vieles, worüber sich amerikanische Juden Sorgen machen sollten, aber Antisemitismus gehört nicht dazu«, ließ Yoffie in einem Zeitungsartikel im Mai vergangenen Jahres verlauten. Für die dennoch existierende Angst einiger Juden in den USA vor Angriffen und Diskriminierung macht Yoffie vor allem den »Schatten des Holocaust«, die Angst um Israel, und, vor allem in jüngster Zeit, die Gefährdung der Juden außerhalb Nordamerikas – zum Beispiel in Europa – verantwortlich.

Die jüngste Studie der Anti-Defamation League (ADL) von 2013 (die Studie von 2014 wird voraussichtlich im März veröffentlicht) unterstützt diese Haltung auf den ersten Blick: Sie bescheinigt antisemitisch motivierten Angriffen einen abwärts gerichteten Trend. Die Gesamtzahl antisemitischer Vorfälle in den Vereinigten Staaten – 751 – sei 2013 gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent gesunken und befinde sich damit auf einem historischen Tiefstand seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1979. So hieß es, als die Studie veröffentlicht wurde, in einer Presseerklärung.

Freiheit In der Tat sind die Vereinigten Staaten ein Symbol für Freiheit und Toleranz. Amerika war und ist der Zufluchtsort für Millionen von Einwanderern, darunter viele Juden. Der Stolz der Amerikaner auf ihre freiheitliche Gesellschaft und deren multikulturelle Vielfalt ist fast sprichwörtlich. Doch der Schein trüge, sagte ADL-Direktor Abraham Foxman in einem Interview. »Juden können in den USA leben, studieren und arbeiten, wo immer sie wollen. Gesellschaftlich haben sie es also ›geschafft‹.« Aber Amerika sei dennoch nicht »immun« gegen Antisemitismus – »auch wir kennen Rassismus, religiöse Intoleranz und Vorurteile«. Foxman räumte ein, dass die Zahl der Angriffe relativ niedrig ist. Aber »Juden sind bei Angriffen auf die Religion immer noch das Ziel Nummer 1«, sagte er. »Das ist beunruhigend.«

Ein Beispiel für Judenfeindlichkeit auf politischer Ebene ist die Kampagne von Robert Ransdell, einem Neo-Nazi aus Kentucky, der im vergangenen Herbst mit dem Slogan »With Jews We Lose« (Mit Juden verlieren wir) für den US-Senat kandidierte. Auf seiner Homepage »White Guard« (Weiße Wacht) verbreitet Ransdell ein Programm, wie er Amerika von der »Herrschaft der Juden« und vom »destruktiven Einfluss von Multikulturalismus, Diversität und politischer Korrektheit befreien« will.

trittbrett Dov Wilker, Direktor des Regionalverbands des American Jewish Committee in Atlanta, zeigt sich trotz der generell sinkenden Zahl antisemitischer Angriffe besorgt über die »zunehmende Gewalt an Universitäten«, für die er hauptsächlich pro-palästinensische muslimische Studenten verantwortlich macht. »Es gibt aber auch Trittbrettfahrer, die Israel als einen Vorwand für die Verbreitung ihrer antisemitischen Parolen benutzen, die sie irgendwo aufgeschnappt haben«, so Wilker.

Statistiken zeigen, dass nach der »Operation Protective Edge« in Gaza im Juli 2014 die Zahl antisemitischer Angriffe gegen Juden und Synagogen deutlich anstieg, während sich die physischen und verbalen Attacken der Israel-Gegner mit denen der »neuen Nazis« mischten. Allein im vergangenen Jahr gab es Zeitungsberichten zufolge mindestens zehn antisemitische Vorfälle an amerikanischen Universitäten, darunter sechs Hakenkreuzschmierereien in jüdischen Wohnheimen und zwei verbale Angriffe auf jüdische Studenten. An der Universität in Santa Barbara in Kalifornien wurden im vergangenen Oktober Flugblätter mit einem großen blauen Davidstern und der Aufschrift »Der 11. September war ein Außeneinsatz« verteilt, die mehrere Links zu Webseiten enthielten, die Israel für den Anschlag auf das World Trade Center im September 2001 verantwortlich machen.

Schon im Jahre 2006 bezeichnete die amerikanische Bürgerrechtskommission antisemitische Vorfälle auf Universitätsgeländen als »ernstes Problem«. Sie forderte, das Bürgerrechtsgesetz von 1964, dessen Titel VI die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe oder Herkunft in staatlich geförderten Programmen oder Institutionen verbietet, (auch) zugunsten jüdischer Studenten energisch durchzusetzen.

Warum gibt es ausgerechnet an Universitäten diesen geballten Hass gegen Israel und die jüdische Bevölkerung, während antisemitische Vorfälle in den USA generell zurückzugehen scheinen? »Universitäten sind wie eine Sickergrube für solche Gefühle«, sagt Wilker. »Sie sollen Orte des ›freien Denkens‹ sein, und in diesem ›schützenden‹ Rahmen sind Studenten eher gewillt, ihren – auch extremen – Meinungen freien Ausdruck zu verleihen.«

Diese Haltung scheinen die Universitäten selbst zu fördern. Im November vergangenen Jahres wurden zwei Israel-Gegner als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion an der Universität von Alabama zu dem Thema »Fast alles, was Sie über Palästina wissen wollen, aber nicht zu fragen wagten« eingeladen. Vertreter alternativer Meinungen saßen nicht auf dem Podium.

»Universitäten rechtfertigen ihr Verhalten damit, dass sie ›Studenten durch den (Denk-)Prozess gehen lassen wollen‹«, sagt Wilker. Und auch der finanzielle Aspekt spielt eine Rolle: »Universitäten wollen nicht in ein schlechtes Licht gerückt werden, denn sie sind von (privaten) Fördermitteln abhängig«, so Wilker.

Geschichte Obwohl Antisemitismus in den USA immer weniger verbreitet war als in Europa, sind moderne Historiker heute davon überzeugt, dass keine Ära in der amerikanischen jüdischen Geschichte frei von Antisemitismus war. Umstritten ist allein die Bedeutung des Antisemitismus in den verschiedenen Epochen.

Die ADL teilt die von ihr erfassten antisemitischen Akte in drei Kategorien ein: tätliche Angriffe, Vandalismus (worunter Hakenkreuz- und sonstige Nazi-Graffiti fallen) und Belästigung/Bedrohung. Während die Zahlen von Sachbeschädigungen und Verbalattacken tatsächlich gesunken sind, verzeichnet die ADL einen Anstieg von Gewalt. »Das ist besorgniserregend«, sagt Shelley Rose, leitende Vize-Regionaldirektorin der ADL in Atlanta.

Darüber hinaus werden »virtuelle Attacken« durch Webseiten, die antisemitische oder anti-israelische Parolen verbreiten, von der ADL-Studie nicht erfasst. »Es ist unmöglich, die Explosion des sich rasch im Internet verbreitenden Hasses zu quantifizieren. Aber wir dürfen ihn keinesfalls ignorieren«, betont ADL-Chef Foxman, gerade weil im Internet »ein viel größeres Publikum in viel kürzerer Zeit« angesprochen werden könne. »Ein ›Hate-Post‹ erreicht viel mehr Leute als das Verteilen von Flugblättern«, so Foxman. Die ADL-Studie ergab, dass heute 35 Millionen Amerikaner – vor allem Afro-Amerikaner und Latinos – antisemitisch eingestellt sind.

Jerome Chanes vom Zentrum für Jüdische Studien in New York spricht dieser Feststellung jedoch jede Bedeutung ab: »Die praktischen Konsequenzen sind gleich null«, sagt er. Kritiker wie er werfen der ADL vor, mit dem Antisemitismus Geld zu machen und »die Angst unter Juden für Fundraising-Zwecke zu schüren«.

Foxman weist diesen Vorwurf entschieden zurück. Eine antisemitische Haltung könne durchaus antisemitische Taten provozieren, sagt der ADL-Direktor. So sei es die Aufgabe seiner Organisation, nicht nur alle Erscheinungsformen des Antisemitismus zu beobachten und darüber aufzuklären, sondern auch allgemein zu Toleranz und Offenheit zu erziehen, entsprechende Gesetzesvorschläge und, wenn nötig, rechtliche Schritte einzuleiten.

»Alles in allem hält die ADL den Antisemitismus unter Kontrolle«, sagt Foxman. Sie beobachte eine »beunruhigende Zahl« von Beschwerden über antisemitisches Verhalten von Kindern und Jugendlichen, darunter tätliche Angriffe und Drohungen oder Beschimpfungen mit antisemitischen Stereotypen oder Anspielungen auf die Schoa.

Aufklärung über Antisemitismus sei aber nicht nur Aufklärung über Judenhass, betont Foxman. »Solange wir den Impfstoff gegen Vorurteile nicht gefunden haben, geht der Kampf für eine zivilisierte, tolerante und von gegenseitigem Respekt geprägte Gesellschaft weiter – auch wenn die Juden nicht (mehr) die Hauptopfer von Diskriminierung sind.«

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