Frau Orland, am 12. Juni soll im Rahmen eines internationalen Limmud-Tags in Berlin die Organisation »Limmud Europe« gegründet werden. Was verbirgt sich dahinter?
Limmud wurde in den 80er-Jahren in England gegründet und ist zu einem erfolgreichen jüdischen Lernprojekt geworden, das von Freiwilligen getragen wird. Weil es inzwischen in vielen Ländern Limmud-Vereine gibt, haben wir beschlossen, sie institutionell zu vernetzen und die Dachorganisation »Limmud Europe« zu gründen.
Wie entstand die Idee?
Die Idee schlummerte schon länger, aber letztendlich ist sie auch ein Ergebnis der Pandemie. Als wir Anfang 2020 alle in den Lockdown mussten, haben wir gemerkt, dass wir nicht vereinzeln wollen. Wir haben uns deshalb online getroffen und vernetzt. So entstand eine Gruppe, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Limmud-Vereinen aus neun verschiedenen Ländern zusammensetzte. Wir haben uns in den letzten zwei Jahren regelmäßig mittwochmorgens getroffen, um über die Leitsätze von Limmud zu diskutieren und verschiedene Projekte dazu zu entwickeln. Die Initiative nannten wir »Limmud Europe Values« – abgekürzt LEV, was auf Hebräisch »Herz« heißt. Wir haben uns also mit unserem Kern beschäftigt.
Was sind die Leitsätze Ihrer Organisation?
Einer ist zum Beispiel »Diversität/Vielfalt«. Limmud ist offen für alle jüdischen Strömungen, von sehr religiös bis säkular. Darüber hinaus sind wir offen für ganz unterschiedliche Lebensentwürfe. Ein anderer Leitsatz ist »Argumente um der Argumente willen«. Es geht also darum, voneinander zu lernen und die Positionen der anderen kennenzulernen. Wir haben uns auch ganz praktisch gefragt, wie wir Partizipation besser online gestalten können. Das war ja für uns neu und wurde durch die Pandemie plötzlich ganz aktuell.
Was planen Sie für die Zukunft?
Wir starten mit dem Projekt »Memory Futures«, für das wir EU-Fördergelder einwerben konnten. Dabei geht es um die Fragen, wem Erinnerung gehört, wie sie erzählt wird und welche Rolle sie spielt. Mit dabei sind Limmud-Vereine aus sieben europäischen Ländern. In diesem Rahmen wird es Limmud-Verstaltungen über jüdisches Leben entlang des Rheins geben, ebenfalls in Planung sind »Limmud Donau« und ein »Limmud Ostsee«.
Was steht auf dem Programm für den Limmud-Tag am Sonntag in Berlin?
Er findet diesmal im Eruv Hub statt, dem jüdischen Co-Working-Space in Kreuzberg. Die Location besticht durch ihren großen offenen Innenraum. Er lädt zum Vernetzen und zum Verweilen ein, und man kann dort gut miteinander ins Gespräch kommen. Das Programm ist vielfältig: Es wird Sessions zur Demokratisierung des Weltraums, der Digitalisierung der deutschen Mischna-Übersetzung oder Kreislaufwirtschaft und Modeindustrie geben, aber auch Biertasting sowie ein Comic-Konzert. Man kann sich noch anmelden unter www.limmud.de.
Wie werden Sie nach dem internationalen Lerntag nächste Woche das neue Projekt »Limmud Europe« weiterhin mit Leben füllen?
Neben den Verstaltungnen zu Limmud Rhein, Donau und Ostsee sind wir auch auf der Suche nach künstlerischen Projekten. Wir könnten uns vorstellen, mit Künstlergruppen zu kooperierenWir könnten uns vorstellen, mit Künstlergruppen zu kooperieren Judith Orland, die sich mit jüdischen Themen beschäftigen. Darüber hinaus wollen wir intern schauen, welche Bedürfnisse kleinere Limmud-Vereine haben. Wir wollen sie unterstützen und auch bei der Gründung von Limmud-Vereinen in weiteren Ländern helfen.
Mit der Gründungsdirektorin von »Limmud Europe« sprach Tobias Kühn.