Montagabend, Paris, Notre-Dame: Wieder Alarm in Frankreichs Hauptstadt. Überall Sirenen, überall Polizei und Feuerwehrfahrzeuge. Notre-Dame, die berühmte Kathedrale im Herzen der französischen Hauptstadt, brennt lichterloh. Eine riesige Rauchsäule steht über dem Wahrzeichen, Flammen schlagen aus dem Dachstuhl.
Passanten sprechen von einer Katastrophe. Der kleine Spitzturm auf dem Dach des monumentalen Bauwerks stürzt einfach in sich zusammen. Durch die Menschenmenge an den Ufern der Seine geht ein Raunen. Wie schwer der Brand die Kirche zerstört hat, und was noch zu retten ist – in Paris fürchtet man zu diesem Zeitpunkt das Schlimmste. Am späten Abend machte der Feuerwehrchef zumindest etwas Hoffnung.
HERZ Das Feuer brach am Montagabend aus, es war ein sonniger Frühlingstag in Paris. Notre-Dame ist eine der Top-Touristenattraktionen und wird jährlich von Millionen Menschen besucht, die vor dem Bauwerk Schlange stehen. Die Kathedrale steht auf der Île de la Cité – eine Insel in der Seine und das historische Herz der Stadt.
»Die Struktur von Notre-Dame ist gerettet und in ihrer Gesamtheit bewahrt«, sagt der Feuerwehrchef.
Hunderte Passanten drängen sich am Abend auf den Brücken über dem Fluss, um Fotos vom Feuer zu machen. Nur wenige Autos kommen überhaupt noch durch. Polizisten riegeln nach und nach die Brücken und das gesamte Gelände um die Kirche ab – und verscheuchen Schaulustige recht harsch. Auf einer Straße nahe der Kirche singen am Abend Dutzende Menschen »Ave Maria«. Sie knien, stehen – singen im Chor, einige haben einen Rosenkranz in der Hand.
Am frühen Dienstagmorgen erklärte die Feuerwehr den Brand für »unter Kontrolle und teilweise gelöscht«, wie die französischen Medien berichteten. Es gebe lediglich noch einzelne Glutnester, sagte Feuerwehr-Sprecher Gabriel Plus.
»Unser Herz ist bei den Bürgern Frankreichs«, betont Israels Präsident Reuven Rivlin.
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sagt, sie habe den Rauch von ihrem Bürofenster aus gesehen. Es sei ein Drama für die ganze Welt, klagt sie. Notre-Dame sei ein Symbol der Pariser Geschichte, ein Symbol der Freiheit. Der Sprecher des Wahrzeichens, André Finot, sagt, er habe eigentlich gar keine Worte. »Schrecklich« sei das einfach nur – er sei schockiert. Man könne diese alte Dame nicht einfach im Stich lassen, betont der Rektor der Kathedrale, Patrick Chauvet, trotzig.
HOFFNUNG Und dann gibt es doch ein bisschen Hoffnung am späten Abend: »Man kann annehmen, dass die Struktur von Notre-Dame gerettet und in ihrer Gesamtheit bewahrt ist«, sagt der Feuerwehrchef Jean-Claude Gallet. Das Feuer wütet zu diesem Zeitpunkt allerdings weiter. In der Pariser Nacht lodern die Flammen feuerrot. Scheinwerfer beleuchten das monumentale Bauwerk.
Die französische Hauptstadt und das ganze Land waren in den vergangenen Jahren von einer islamistischen Terrorwelle getroffen worden. Die Terrorfrage stellte sich auch jetzt wieder – schließlich war auch Notre-Dame ein potenzielles Ziel von Attentätern. Die Polizei geht aber nicht von einem terroristischen Hintergrund aus. Auf dem Dach der Kathedrale stand ein riesiges Gerüst. Bauarbeiten könnten die Ursache für den verheerenden Brand sein, lauten erste Vermutungen. Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt, bislang wird dabei die Spur eines Unfalls verfolgt.
Bei der französisch‐jüdischen Dachorganisation CRIF herrscht große Traurigkeit.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte am Montagabend eigentlich eine TV-Ansprache halten. Nach dem Ende seiner Bürgerdebatte wollte er konkrete Reformpläne ankündigen, um die seit Monaten anhaltende »Gelbwesten«-Krise in den Griff zu bekommen. Diesen Auftritt sagt er kurzfristig ab. »Wie alle unsere Landsleute bin ich an diesem Abend traurig, diesen Teil von uns brennen zu sehen«, erklärt er. »Wir werden Notre-Dame wieder aufbauen. Denn das ist es, was die Franzosen erwarten.« Die französisch-jüdische Milliardärsfamilie Bettencourt-Meyers und der Kosmetikriese L’Oreal wollen insgesamt 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Kathedrale spenden, wie L’Oreal am Dienstag mitteilte.
REAKTIONEN Und so groß die Fassungslosigkeit und der Schock über den Brand des Wahrzeichens ist, so groß ist auch die Unterstützung und die Solidarität, die Frankreich inmitten dieser Katastrophe weltweit erfährt. Viele jüdische und israelische Politiker und Vertreter jüdischer Institutionen sprachen Paris ihr Mitgefühl aus.
Die Chefin der UN-Kulturorganisation Unesco, Audrey Azoulay, sagte zu Reportern: »Notre-Dame ist ein Symbol für die ganze Welt.« Die Unesco sei schon mit dem Kulturministerium und der Kirche in Kontakt. »Wir brauchen eine sehr schnelle Beurteilung der Schäden.« Es müssten rasch »strategisch wichtige Entscheidungen getroffen werden«.
Notre-Dame sei nicht nur das Wahrzeichen von Paris, sondern auch des Christentums, so Gila Lustiger.
Gila Lustiger, die Nichte des früheren Pariser Erzbischofs Jean-Marie Lustiger und Tochter des Historikers Arno Lustiger, sagte im Deutschlandfunk: »Es gibt kein Gebäude in Frankreich, das derart die Geschichte dieses Landes mitträgt und symbolisiert.« Notre-Dame sei nicht nur das Wahrzeichen von Paris, sondern auch des Christentums.
JERUSALEM Israels Präsident Reuven Rivlin sagte: »Notre Dame gehört zu den schönsten Symbolen von Paris und Frankreichs, aber auch zu den wichtigsten für jeden Kulturmenschen. Unser Herz ist bei den Bürgern Frankreichs und den Geschichten von Notre Dame, wir beten, dass sie für immer bestehen werden.«
Israels Außenminister Israel Katz teilte mit: »Im Namen des Staates Israel möchte ich meine tiefste Solidarität mit Frankreich und der französischen Nation angesichts des schrecklichen Feuers in Notre Dame, einem Weltsymbol der Zivilisation, zum Ausdruck bringen.«
Die Geschichte der Kathedrale reicht bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück.
CRIF Die französisch-jüdische Dachorganisation CRIF teilte auf Twitter mit: »Wir teilen die starken Emotionen aller Franzosen, die durch das Feuer der Kathedrale Notre Dame im Herzen von Paris getroffen wurde. Wir drücken auch mit großer Emotion unsere Solidarität mit den Feuerwehrleuten aus, die gegen die Flammen kämpfen« Und weiter: »Solidarische und brüderliche Gedanken an die Katholiken Frankreichs. Es herrscht bei uns große Traurigkeit angesichts dieses Dramas, das unser Land begräbt.«
Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia versicherte am Montagabend der katholischen Kirche und vor allem dem Hausherrn der Kathedrale Notre Dame, Bischof Michel Aupetit, seine Freundschaft und seine Unterstützung im Gebet.
CRIF-Präsident Francis Kalifat twitterte am Dienstagmorgen: »Schreckliche Bilder der Pariser Kathedrale in Flammen. Solidarische und brüderliche Gedanken an die Katholiken Frankreichs. Große Traurigkeit angesichts dieses Dramas, das unser Land betrübt«
Die Geschichte der Kathedrale reicht bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Die Dimensionen der im gotischen Stil konstruierten und der Jungfrau Maria geweihten Kirche mit ihren beiden majestätischen Haupttürmen sind gewaltig: Die Kathedrale ist 127 Meter lang, 40 Meter breit und bis zu 33 Meter hoch. Mit seinem 1831 erschienenen historischen Roman Der Glöckner von Notre-Dame verewigte Victor Hugo die Kathedrale in der Literatur. (mit ja)