Frau van der Zyl, jüdische Briten zählen zu den Bevölkerungsgruppen in Europa, die vom Coronavirus am stärksten betroffen sind. Wie bedrohlich ist die Situation wirklich?
Sie ist schlimm, aber nicht so schlimm, dass wir in Panik geraten müssten. Es gab bei uns bisher 570 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Das heißt, in der jüdischen Gemeinschaft war fast eine Person von 100 betroffen. Laut dem britischen Statistikamt waren während der ersten Welle jüdische Männer doppelt so stark betroffen wie christliche und mehr als doppelt so viele wie säkulare. Für jüdische Familien war das eine schwere Zeit.
In der zweiten Welle scheint die jüdische Gemeinschaft aber nicht so disproportional betroffen zu sein.
Wahrscheinlich lag es am Gemeindeleben, dass die Folgen in der ersten Welle so gravierend waren. Wir mussten das ernst nehmen. Das Leben wurde nun weitgehend der Pandemie angepasst.
Wie ist die Atmosphäre in den Gemeinden jetzt, da in Großbritannien die Corona-Impfungen begonnen haben?
Der Impfstoff ermöglicht es, den R-Wert zu senken und langsam zu einem normalen Leben zurückzukehren. Das heißen natürlich alle willkommen. Doch wir müssen Geduld haben, denn es wird dauern, bis die Normalität zurückkehrt.
Gibt es auch spezielle jüdische Gesundheitsdienste, die das Impfen übernehmen?
Der Impfstoff wird vom staatlichen Gesundheitssystem, dem Nationalen Gesundheitsdienst NHS, verteilt, was also über Hausärzte und andere Dienste wie Sozialpflegedienste und Apotheken erfolgen wird. Wir stehen zwar in Kontakt mit dem Büro des Premierministers und den verantwortlichen Ministerien, aber am Ende hängt alles davon ab, wie der Gesundheitsdienst in den Kommunen arbeitet. Wir schätzen, dass der NHS dabei nicht überall die gleichen Methoden anwenden wird.
Wer wird zuerst geimpft?
Die Regierung hat eine Prioritätenliste erstellt. Ganz oben stehen Pflegeheimbewohner ab 80 Jahren und das Personal, danach geht es nach Altersstufe und Bedürftigkeit weiter: also Menschen über 80 und Klinik- sowie Pflegepersonal, dann Menschen, die 75 Jahre sind oder älter, dann alle über 70-Jährigen sowie alle, die klinisch stark gefährdet sind, und so weiter.
Kann der Board of Deputies das Verteilen des Impfstoffs beeinflussen?
Nein, das können wir nicht. Der Board of Deputies ist kein medizinischer oder epidemiologischer Verband. Was wir aber sehr wohl tun werden, ist, die Situation zu beobachten. Denn wir wollen sicherstellen, dass niemand bei den Impfungen vergessen wird.
Das Interview mit der Vorsitzenden des britisch-jüdischen Dachverbands Board of Deputies of British Jews (BoD) führte Daniel Zylbersztajn-Lewandowski.