Herr Deutch, Sie waren Kongressabgeordneter und führen jetzt das American Jewish Committee (AJC). Wie finden Sie als Demokrat in Washington Gehör?
Indem ich überparteilich agiere und, wo nötig, beide Seiten konfrontiere. Als ich im Kongress saß, war ich der einzige Demokrat, der Kollegen aus der eigenen Fraktion im Plenarsaal beim Thema Israel zur Rede stellte. Wir sollten unsere Positionen nicht danach ausrichten, ob sie bei der einen oder anderen Partei auf Gegenliebe stoßen, sondern nur darauf, dass sie im Interesse der jüdischen Gemeinschaft sind. Wir können es uns nicht leisten zu schweigen. Und wenn wir glauben, dass Antisemitismus nur auf der anderen Seite des politischen Spektrums existiert, und wegsehen, wenn er aus dem eigenen Lager kommt, normalisieren wir ihn.
Die Zahl der judenfeindlichen Vorfälle in Amerika hat deutlich zugenommen. Wie erklären Sie sich das?
Antisemitismus ist auch in den USA nicht neu. Aber in der Vergangenheit hatten die Menschen nicht die Mittel, ihn zu verbreiten, wie sie heute existieren. Sie trafen sich auf einem Parkplatz oder heimlich im Wald und verteilten ein paar Broschüren. Heutzutage sehen Millionen von Menschen in sozialen Medien ihre Beiträge, ganz zu schweigen vom Dark Web und den schrecklichen Dingen, die dort passieren.
Was kann dagegen getan werden?
Der Kongress sollte prüfen, welche Änderungen notwendig sind, damit Internet-Plattformen rechenschaftspflichtig werden. In Europa gibt es Gesetze, man sucht nach Möglichkeiten, sie durchzusetzen, um die Menschen zu schützen. In den USA haben wir stattdessen Gesetze, die den Plattformbetreibern Straffreiheit gewähren. Wir können also nur versuchen, dafür zu sorgen, dass Twitter und andere Social-Media-Unternehmen die eigenen Richtlinien und Regeln befolgen und sie auch anwenden. Bislang tun sie das nicht.
Ist die Zeit vorbei, in der Juden in Amerika vor gewalttätigen Angriffen relativ sicher waren?
Es gibt hier mittlerweile mehr Verständnis für das, was Europa im Hinblick auf den wachsenden Antisemitismus durchgemacht hat, insbesondere nach den Anschlägen in Brüssel 2014 und in Frankreich 2015. Ich erinnere mich an die Artikel, die damals geschrieben wurden. Der Schock und die Unfähigkeit zu begreifen, dass Menschen in Europa gefährdet waren, nur weil sie jüdische Einrichtungen besuchten, waren groß. Amerikanische Juden waren überrascht, wenn sie die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen in Europa sahen. Nach den Anschlägen in Pittsburgh, Monsey und Jersey City und in einer Zeit, in der es fast Alltag ist, dass Juden auf den Straßen Brooklyns verprügelt werden, wächst das Gefühl, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Juden in den USA und in Europa müssen diese Probleme gemeinsam angehen.
Mit dem CEO des American Jewish Committee sprach Michael Thaidigsmann.