In meinem ganzen Leben hat es noch nie so eine Aktion gegeben», sagte der Vorsitzende des Jewish Leadership Council (JLC), Jonathan Goldstein. Am Montagabend hatten der JLC und der Dachverband Jewish Board of Deputies (BOD), zu einer Protestaktion im Londoner Bezirk Westminster auf dem Parliament Square aufgerufen.
Etwa 2000 Menschen, darunter 30 Unterhausabgeordnete, kamen zur ersten gemeinsamen Demonstration von JLC und BOD seit den 30er-Jahren.
Denn britische Juden haben genug vom Antisemitismus. Erst jüngst war eine Facebook-Nachricht des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn aus dem Jahr 2012 bekannt geworden. «Du bist in guter Gesellschaft», hatte Corbyn an den Graffitikünstler Kalen «Mear One» Ockerman geschrieben, als dessen Wandmalerei «Freedom for Humanity» in London überpinselt worden war, «Rockefeller zerstörte Diego Riveras Wandgemälde, weil es ein Bild von Lenin zeigte».
Monopoly Schönheitsfleck an Corbyns Verteidigung der Kunst: Mear Ones Bild zeigte eine Gruppe von Bankern, teils mit Hakennasen, die unter einem Illuminati-Symbol Monopoly spielen – auf den Rücken von Menschen, die nackt vor ihnen knien. Kurz gesagt: Corbyn hatte offenen Judenhass verteidigt.
Labours Vizevorsitzender Tom Watson erklärte nun, Corbyn bedauere seinen Post. Er habe sich das Bild damals nicht richtig angesehen. Watson äußerte sich allerdings erst zu dem Vorfall, nachdem jüdische Labour-Politiker dringend eine Erklärung und eine Entschuldigung verlangt hatten. Als der Druck weiter zunahm, meldete sich Corbyn selbst zu Wort. Am Sonntag teilte er, wiederum auf Facebook, mit: Labour sei eine antirassistische Partei, er verurteile Judenhass. «Antisemitismus, egal in welcher Form, darf in und um unsere Bewegung nicht toleriert werden.»
Corbyns jüngster Skandal und sein unglaubwürdiges Zurückrudern brachte britische Juden und ihre zwei Dachorganisationen BOD und JLC auf die Straße. BOD-Präsident Jonathan Arkush forderte am Montag mehr als eine bloße Suspendierung antisemitischer Labour-Politiker. Er erinnerte an die Fälle Ken Livingstone, Jacqui Walker und Chris Williamson. Da müsse es einen Rauswurf geben.
Zumal es, wie der Redner John Mann formulierte, schließlich jüdische Arbeiter waren, die am Anfang der britischen Arbeiterbewegung gestanden haben.
Labour Gekommen waren britische Juden, empörte Labour-Politiker, wie Lord David Mitchell, der wegen Corbyn Labour verlassen hatte, aber beispielsweise auch der konservative Minister Sajid Javid. Und junge Leute nahmen an der Demonstration teil: Keyvan Farmanfarmaian, 17, und Liam Sanderson, 18, Schüler aus der Nachbarschaft, beide nicht jüdisch und eher konservativ. Oder Lewis Parker und Anna Phillips, beide 22 Jahre alt, Labour-Mitglieder aus Südlondon und nicht jüdisch.
«Ich weiß, wie sich meine jüdischen Parteifreunde fühlen», sagte Parker. «Ich glaube, dass eine antiisraelische Einstellung meist verkleideter Antisemitismus ist.» Ella und Mark, Vater und Tochter aus Londons Norden, denken dagegen sehr unterschiedlich über Labour. «Mich sprechen die Werte Labours an, etwa der Gleichheitsgedanke», sagt Ella, «doch wegen des Antisemitismus ist es mir nicht möglich, die Partei zu unterstützen.»
Facebook Am Rand der Kundgebung waren auch andere Stimmen zu hören. Auf Bannern der Gruppe «Jewish Voices for Labour» (JVL) hieß es, es sei nur politisches Kalkül, kurz vor Lokalwahlen einen fünf Jahre alten Facebook-Post zu thematisieren. JVL-Anhänger skandierten Parolen gegen die Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel. Polizeibeamte, die für alle Fälle bereitstanden, mussten jedoch nicht eingreifen.
Auf der Kundgebung erwähnte Jonathan Goldstein das bevorstehende Pessachfest, an dem traditionell das Lied «Dajenu» («Es ist genug») gesungen wird. «Wir haben genug vom Antisemitismus», sagte er. «Der ist nicht okay in einer politischen Partei des Mainstreams.»