Herr Winter, in etlichen europäischen Ländern kümmert sich der Staat um die Sicherheit jüdischer Einrichtungen. Wie ist das bei Ihnen in der Schweiz?
Bei uns sorgt der Staat nicht speziell dafür, sondern wir müssen allein dafür aufkommen. Wir werden zwar seit einiger Zeit als stärker gefährdet eingestuft als andere Gruppen, aber wir bekommen keinen besonderen Schutz und auch keine finanzielle Unterstützung für unsere Sicherheitsmaßnahmen.
Dadurch, dass der islamistische Terror zunimmt, steigt auch in der Schweiz der Aufwand für den Schutz jüdischer Gemeinden.
Ja, enorm!
Und die Gemeinden kommen weiterhin allein dafür auf?
Alle Gemeinden haben gewisse Schutzkonzepte. Aber es sind eben nicht nur die Gemeinden, sondern auch Schulen, Altersheime und andere Einrichtungen. Sie alle haben mithilfe der Sicherheitsinstitutionen der großen Gemeinden eigene Schutzkonzepte erarbeitet – das geht sehr ins Geld.
Sind die Gemeinden überhaupt in der Lage, das selbst zu bestreiten?
Sicher nicht alle und nicht ausreichend. Wir fordern deshalb vom Staat, dass er sich an den Anstrengungen für unsere Sicherheit beteiligt – sei es personell, durch die Unterstützung baulicher Schutzmaßnahmen oder dadurch, dass er einen Teil der Kosten übernimmt.
Wie reagiert die Berner Regierung auf Ihre Forderung?
Vergangene Woche hat einer der Schweizer Bundesräte gesagt, die jüdische Gemeinschaft sei ein unverzichtbarer Teil der schweizerischen Kultur und Gesellschaft, und wer Juden angreife, greife die ganze Schweiz an. Solches und Ähnliches hören wir schon seit längerer Zeit. Aber wir arbeiten noch daran, dass das beim Thema Sicherheit auch effektiv umgesetzt wird. Wir sind in regelmäßigem Kontakt mit Bundesräten und Behörden und hoffen, in nächster Zeit doch etwas bewegen zu können.
Der Europarat hat vor 20 Jahren ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten ausgearbeitet, das auch die Schweiz unterzeichnet hat. Ist die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz insgesamt ausreichend geschützt?
Abgesehen vom Thema Sicherheit, wo der Staat nicht genügend tut, sehe ich die Stellung der jüdischen Minderheit in der Schweiz sehr positiv. Wir arbeiten mit den staatlichen Gremien auf Augenhöhe zusammen – sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene und in den Kommunen.
Wie gehen die Schweizer Juden mit der Bedrohung durch den Terror um?
Ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns besonders bedroht fühlen. Wenn etwas passiert wie in Paris, sind viele natürlich vorsichtiger und gehen ein paar Tage nicht in die Synagoge. Aber das ändert sich schnell wieder. Wir leben einen ziemlich normalen Alltag.
Mit dem Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) sprach Tobias Kühn.