Litauen

»Wir dürfen die Hoffnung jetzt nicht verlieren«

Gemeindechefin Faina Kukliansky Foto: Blanka Weber

Faina Kukliansky organisiert derzeit das eigene Leben und das ihrer Gemeindemitglieder aus dem Homeoffice in Vilnius. »Eine Zeit, die uns alles abverlangt«, sagt die 65-jährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Litauen.

Eigentlich sollten derzeit die Vorbereitungen für Pessach laufen. Der Bagel-Shop neben dem Gemeindebüro in der Pylimo-Straße hat nur noch stundenweise geöffnet und nimmt ausschließlich Geldkarten als Zahlungsmittel. Bargeld ist verboten. Auch hier strenge Regeln. Die Mazzot werden von hier aus an die Gemeindemitglieder verteilt und sollen unbedingt in den nächsten Tagen ausgeliefert werden.

Helfer »Ich bin froh und auch stolz auf die Menschen, die jetzt helfen«, sagt Faina Kukliansky. »Wer nicht den Weg in den Laden schafft, dem bringen wir die Mazze nach Hause und schauen auch sonst, wie wir Hilfsbedürftigen unter die Arme greifen können.«

Vor allem junge Leute, Studenten, starten Initiativen und bringen älteren Menschen Lebensmittel.

Kukliansky und das Team vom Sozialzentrum der Gemeinde wissen, dass sie jetzt vor allem die hochbetagten Mitglieder im Blick behalten müssen. »Viele haben kein Internet. Also versuchen wir, diese Menschen regelmäßig anzurufen und uns nach ihnen zu erkundigen.«

Studenten Vor allem junge Leute, Studenten, würden Initiativen starten und älteren Menschen Lebensmittel bringen, und jetzt vor Pessach eben auch die bestellten Mazzot. »Aber wir müssen aufpassen«, sagt Kukliansky, »dass uns die Helfer in den Sozialeinrichtungen nicht abhandenkommen. Sie müssen gesund bleiben. Wir haben also auch für sie eine besondere Verantwortung.«

Der Scheitelpunkt sei noch nicht erreicht, sagt Kukliansky und atmet tief durch. Man merkt der Gemeindevorsitzenden an, dass ihr davor graut. Denn: Auch in Litauen gibt es zu wenige Tests, und das medizinische Equipment reicht nicht aus. Viele Litauer befürchten, dass bei einer hohen Zahl von Ansteckungen die Krankenhäuser dem Ansturm nicht gewachsen sein werden.

In der Gemeinde sind seit einigen Wochen alle Veranstaltungen abgesagt. Die Webseite wird ständig aktualisiert. Es gibt Kontaktangebote per Telefon und E-Mail.

Zusammenhalt »Es freut mich, dass wir jetzt sehr zusammenhalten. Ob Kirchen oder Synagogen – alle versuchen, sich Mühe zu geben und füreinander da zu sein«, sagt Kukliansky. Selbst die antisemitischen Attacken der vergangenen Monate seien momentan kein Thema. »Zumindest bis jetzt kann ich das so sagen. Vielleicht ist es morgen schon wieder anders. Aber derzeit erleben wir so etwas nicht.«

Dabei macht auch ihr eine Frage schon jetzt große Sorgen: Wie soll es danach weitergehen? Was passiert, wenn die Menschen verzweifeln, ihren Job verloren haben und auch nicht mehr zum Arbeiten in andere Länder zurückkehren können? »Hier in Litauen wird es nicht besser sein − ganz im Gegenteil.«

Wie soll es danach weitergehen? Was passiert, wenn die Menschen verzweifeln, ihren Job verloren haben und auch nicht mehr zum Arbeiten in andere Länder zurückkehren können?

Man befürchte eine noch höhere Arbeitslosigkeit. Derzeit würden rund 3000 Litauer aus dem Ausland zurückgeholt – Menschen, die in anderen europäischen Ländern arbeiten oder studieren. »Was kommt wohl nach Corona?«, würden viele jetzt mit Bedenken fragen.

Wie groß ihre Gemeinde derzeit ist, kann Faina Kukliansky nicht genau sagen. Wer ist noch im Land? Wer lebt außerhalb? »Wohl etwa 5000 Menschen zählen in ganz Litauen zur Gemeinde.« Die meisten leben in großen Städten, vor allem in und um die Hauptstadt Vilnius.

Pessach »Was uns jetzt beschäftigt, ist nicht nur, wie wir für alle diese Menschen das Pessachfest organisieren, sondern es ist vor allem die Frage, wie es wirtschaftlich weitergeht. Sollte die Situation nicht abgefedert werden können, befürchtet auch Faina Kukliansky Gewalt, Aggression und eine hohe Arbeitslosigkeit. Die sozialen Folgen wären nicht abzusehen.

Die Regierung sei bemüht und würde alle Informationen zur Verfügung stellen, sagt sie. Man könne sich als Bürger darauf einstellen. »Es wäre also die Zeit, zu begreifen, dass wir einander helfen müssen – und nicht gegeneinander kämpfen.«

In Litauen gibt es derzeit knapp 600 bestätigte Fälle und sieben Todesopfer infolge der Infektion mit Covid-19.

USA

Modisch und menschlich

Seit 25 Jahren betreibt Allison Buchsbaum eine Galerie für zeitgenössischen Schmuck in Santa Fe

 22.10.2024

Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Phil Rosenberg, der neue Chef des Board of Deputies of Jews, über den Kampf gegen Judenhass

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  20.10.2024

Südafrika

Terroristin auf dem Straßenschild?

In Johannesburg soll eine wichtige Hauptverkehrsstraße nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024

New York

Versteck von Anne Frank wird nachgebaut

Rekonstruktion soll zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in New York zu sehen sein

von Annette Birschel  16.10.2024

Österreich

Wenn der Rebbe keltert

Schlomo Hofmeister kauft jedes Jahr Trauben und produziert seinen eigenen koscheren Wein

von Tobias Kühn  16.10.2024

Lufthansa

Millionenstrafe wegen Diskriminierung von Juden

Die USA sanktionieren die Airline wegen des Ausschlusses von 128 jüdischen Fluggästen vom Weiterflug nach Ungarn

 16.10.2024

Indien

Kosher Mumbai

Mithilfe der »Jewish Route« soll in der indischen Metropole der reichen jüdischen Vergangenheit gedacht und eine Brücke zur Gegenwart geschlagen werden

von Iris Völlnagel  15.10.2024

Ungarn

Identitäten im Dilemma-Café

»Haver« nennt sich eine Stiftung, deren Ziel es ist, nicht-jüdischen Jugendlichen durch Spiele und moderierten Diskussionen das Judentum näherzubringen

von György Polgár  14.10.2024

Ungarn

Willkommen in Szarvas!

Einen Sommer über haben Kinder aus Osteuropa, aber auch aus Israel oder der Türkei in Szarvas neben Spaß und Spiel auch Stärke und Resilienz tanken können

von György Polgár  14.10.2024