Was verbindet einen Davidstern, Heringe und Fahrräder? Alle drei zusammen bilden das Logo einer außergewöhnlichen Initiative: eine Siedlung niederländischer Juden, die in den nächsten Jahren in Israel entstehen soll. Einen Ort dafür gibt es zwar noch nicht, wohl aber einen griffigen Namen: »Moschaw Mokum«, angelehnt an die jiddische Bezeichnung Amsterdams, die in die Alltagssprache der Stadt überging. Doch warum und wie soll ein Teil von Mokum nach Israel kommen?
»Zunächst einmal ist das nur ein Arbeitstitel«, betont Ritchie Kremer. Es handle sich nicht um einen Moschaw im eigentlichen, landwirtschaftlichen Sinne des Wortes, sagt der 38-Jährige lachend. Und die Bewohner müssten natürlich nicht nur aus Amsterdam, sondern dürften auch aus anderen Regionen der Niederlande kommen. Fakt aber ist: Der Inhaber einer Werbeagentur in Amsterdam und sein Freund David Beesemer, Immobilienhändler und Vorsitzender von Maccabi Nederland, wollen eine Brücke bauen, die jüdischen Landsleuten bei der Auswanderung nach Israel helfen soll.
Prospekt Einen ansehnlichen Prospekt haben die beiden Männer zusammengestellt, der handfeste Argumente für die Alija liefert: Israel hat höhere Wachstumsraten als andere westliche Länder, die Hightech-Branche boomt, die Jobaussichten sind gut – hinzu kommen die neu entdeckten Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer.
Fotos von fruchtbaren Feldern und der modernen Skyline von Tel Aviv unterstreichen die Attraktivität, und dann ist da noch ein Bild wie eine Sehnsuchtspostkarte: ein unwahrscheinlich blaues Meer mit karger Felsküste und der Überschrift »Die Liebe zu Israel«. Ein Migrationsforscher würde hier von »Pull-Faktoren« sprechen.
Wo solche sind, gibt es freilich auch »Push-Faktoren«. Die Gründe für niederländische Juden, ihrem bisherigen Zuhause den Rücken zu kehren, schneidet der Prospekt nur an: »Israel als Refugium«. Wofür es einen einfachen Grund gibt: »Die Idee ist nicht nur aus der Negativität geboren«, betont Ritchie Kremer.
Alarmsignal Allerdings kommt Kremer auch nicht um die rabiate antisemitische Stimmung des vergangenen Sommers herum, ebenso wenig wie um die dschihadistische Demonstration in Den Haag, auf der man »Tod den Juden« brüllte. Dass der Sprecher des Bürgermeisters danach sagte, bei der Kundgebung sei »keine Grenze überschritten« worden, ließ bei Kremer die Alarmglocken läuten: »Ich fühlte mich zum ersten Mal wie meine Großeltern damals.«
Ein Kernelement bei Moschaw Mokum ist die Zielgruppe: Jenseits der Tatsache, dass im Rahmen des Rückkehrrechts jeder willkommen ist, möchte man vor allem junge Familien anziehen und Menschen, deren Bindung zu Israel bisher wenig ausgeprägt ist. »Nicht jeder hat Verwandte im Land, viele waren noch nie zu Besuch dort, oder sie können die Sprache nicht. Für solche Menschen wäre es eine Erleichterung, wenn sie ihren Nachbarn auf Niederländisch nach einer Tüte Zucker fragen könnten.« Der Prospekt widmet sich dem Problem mit den Worten: »Wie schaffen wir uns dort ein soziales Umfeld? Die Antwort ist einfach: Wir gehen alle gemeinsam.«
Noch ist nicht klar, ob Moschaw Mokum für seine Bewohner permanenten oder Durchgangscharakter haben wird. Deutlich aber ist: Das geplante Büro, das bei Jobsuche und Papierkram helfen, Begleitung zu Arztbesuchen organisieren und überhaupt das Eingewöhnen ins neue Leben erleichtern soll, darf die Integration in die israelische Gesellschaft nicht behindern.
Zugleich will man, wie Kremer es nennt, die »niederländische Note« bewahren. Architektur, Kultur und Spezialitäten wie Poffertjes-Gebäck oder Pfannkuchen spielen dabei eine Rolle – was für Moschaw Mokum wiederum touristisches Potenzial bedeutet: Ob Israelis oder Reisende, alle sollen kommen und das niederländische Dorf bestaunen, das sich als eine Art jüdisches Klein-Amsterdam präsentieren wird.
Interesse Inzwischen haben die Pläne in Israel Interesse geweckt: Haim Divon, Jerusalems Botschafter in Den Haag, unterstützt die Idee. Und Freddy Hollander, der die niederländische Vertretung von Keren Hayesod leitet, stellte Kontakt her zum israelischen Entwicklungsministerium. Im Norden des Landes will man nun eine Kommission einrichten, um gemeinsam mit den Amsterdamer Initiatoren die Pläne umzusetzen. Ein Meilenstein, findet Ritchie Kremer. »Wir können uns darauf ein High Five geben, dann geht es weiter. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.« Etwa 100 Wohneinheiten sind zu Anfang geplant. Die Ersten davon könnten vielleicht in zwei Jahren bezogen werden, sagt Kremer.
Und was halten Auswanderungswillige von dem Projekt? Für den Amsterdamer Ilan Frost kommt Moschaw Mokum zu spät. Er hat seine Sachen längst gepackt, dieser Tage zieht er nach Israel, wo seine Kinder schon seit Längerem wohnen. Vor einem Jahr aber, sagt er, hätte er die Idee möglicherweise interessant gefunden. Da er allerdings in Israel geboren sei und Hebräisch spricht, wäre der Aspekt der Hilfestellung für ihn weniger wichtig. »Ich komme schon zurecht, aber ich kann mir vorstellen, dass viele andere Menschen die Idee ansprechend finden.«
USA Die Zeitschrift Nieuw Israëlitisch Weekblad zitierte kürzlich Yuri van der Sluis, einen Amsterdamer Anfang 40, der mit seiner Familie in die USA auswandern will. »Ich denke, es gibt vielen Menschen, die sich bedroht fühlen, ein warmes Gefühl, die angenehme Atmosphäre von Amsterdam nach Israel zu verlegen.«
Ritchie Kremer hofft derweil, noch in diesem Sommer erstmals mit der Delegation aus dem Galil zusammenzutreffen. Dann kommt vielleicht bald schon eine eigene Dynamik in dieses Dorf.
Im Prospekt von Moschaw Mokum sieht das Ende übrigens so aus: Man sieht das Foto einer Windmühle, schwarz-weiß, ein wenig vergilbt, wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Daneben steht die märchenhafte Silhouette einer scharf gezackten Bergkette im Gegenlicht, als wolle man sagen: Wenn wir zusammenhalten, kann uns alles gelingen, selbst, Juden aus dem flachsten Land nach Israel zu bringen.