Die Taktik ist nicht aufgegangen: Noch kurz vor der Novellierung des österreichischen Israelitengesetzes im Mai brachte der Verein Or Chadasch, der in Wien das Reformjudentum repräsentiert, einen Antrag auf Gründung einer liberalen jüdischen Kultusgemeinde ein. Das zuständige Unterrichtsministerium lehnte inzwischen jedoch ab.
Wie sich bereits im Vorfeld herauskristallisiert hatte, liegt der Knackpunkt darin, dass das orthodoxe Judentum Reformübertritte nicht anerkennt. Das Ministerium hielt in einer Stellungnahme gegenüber der Jüdischen Allgemeinen fest: »Religionsgesellschaften haben das Recht, sich frei und unabhängig vom Staat zu organisieren. Das umfasst auch die Festlegung der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft.«
Eingriff In Österreich gibt es die Israelitische Religionsgesellschaft, sie setzt sich aus den fünf Israelitischen Kultusgemeinden Wien (IKG), Salzburg, Graz, Innsbruck und Linz zusammen. Daher nun die Schlussfolgerung des Ministeriums: »Eine Genehmigung des Antrages für die Gründung einer Kultusgemeinde im Rahmen einer bestehenden Religionsgesellschaft gegen deren Willen, verbunden mit einem Eingriff in den Mitgliederbegriff, wäre ein rechts- und verfassungswidriger Eingriff in die selbstständige Verwaltung der inneren Angelegenheiten der Israelitischen Religionsgesellschaft.«
Ein Teil der Mitglieder von Or Chadasch wird von der Israelitischen Religionsgesellschaft nicht anerkannt. Es handelt sich dabei um jene Personen, die nach liberalem Ritus zum Judentum übergetreten sind. Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg verweist hier seit Jahren auf den Umstand, dass das Wiener Rabbinat, würde es diese Übertritte anerkennen, seinerseits nicht vom Oberrabbinat in Israel und der Europäischen Rabbinerkonferenz anerkannt würde.
Bei Or Chadasch ist man einerseits enttäuscht, andererseits bei öffentlichen Aussagen nun um einen versöhnlichen Ton bemüht. Warum? »Wir verhandeln wieder mit der IKG«, sagt Or-Chadasch-Präsident Theodor Much. Man hätte gegen den Bescheid zwar Einspruch erheben können, und dem wäre vielleicht sogar stattgegeben worden. Danach wäre aber eine Beurteilung auf Basis des novellierten Israelitengesetzes erfolgt. Und dann wäre erneut eine Ablehnung gekommen. Diesen langwierigen Rechtsweg wolle man nicht beschreiten.
Lösung In den Gesprächen mit der IKG versucht Or Chadasch nun eine andere Möglichkeit auszuloten: »eine Assoziierung«, so Much. »So könnten unsere Konvertiten dem Staat gegenüber als Juden ausgewiesen werden, wären aber nicht IKG-Mitglieder.« Außerdem gehe es auch um Subventionen – Or Chadasch brauche mehr Geld. Bis Jahresende wolle man zu einer Lösung kommen.
Die IKG, die sich Ende Mai in einem Schreiben an ihre Mitglieder wandte, vor allem um das mediale Auftreten von Or Chadasch zu kritisieren, betonte damals auch: Noch habe man die Hoffnung nicht aufgegeben, »dass Or Chadasch den ... behutsam entwickelten Modus vivendi nicht zerstören will«. Rabbiner Walter Rothschild, der Or Chadasch betreut, lobt die nun »friedliche Verhandlungsatmosphäre«. Dass man miteinander spricht, sei »ein großer Fortschritt«.