Herr Guttmann, wie haben Sie reagiert, als Sie von der Nachricht des Anschlags am Montagabend erfahren haben?
Es ist mir wichtig zu betonen, dass man momentan noch nicht weiß, ob der Anschlag dem Stadttempel oder dem koscheren Restaurant gegolten hat und ob es ein antisemitischer Anschlag war. Deswegen will ich ungern spekulieren. Grundsätzlich hat mich das alles aber sehr stark getroffen. Meine Generation von jungen Jüdinnen und Juden ist die, die hinter schusssicherem Glas aufgewachsen ist.
Können Sie das etwas genauer beschreiben?
Die jüdische Schule, in die ich gegangen bin, ist eines der sichersten Gebäude Österreichs und sieht eher wie ein Gefängnis denn eine Schule aus. Dort haben wir nicht nur Feueralarm- sondern auch Terroralarmübungen gemacht. Wir sind an Sicherheitskräfte gewöhnt. Uns war immer bewusst, dass Terrorismus eine Gefahr für uns ist, und dass es immer passieren kann. Allerdings: Wenn es dann passiert, ist es etwas ganz Anderes. Das habe ich auch gestern verstanden.
Der Anschlag vor ein paar Wochen in Paris, der am Montag in Wien: Fühlen Sie sich sicher in Europa?
Momentan eindeutig nein, und das ist unabhängig davon, ob dieser Anschlag antisemitisch, rechtsextremistisch oder islamistisch war. Die starke Bedrohung von islamistischem und rechtsextremen Terror, die wir in den vergangenen Jahren erleben, hat noch einmal deutlich zugenommen. Jetzt ist klar, weswegen jüdische Einrichtungen so geschützt werden wie sie geschützt werden. Aber: Europa ist unsere Heimat. Hier wollen wir bleiben und hier sind wir, aber sicher fühle ich mich nicht.
Wie sollte Europas Antwort auf diese immanente Bedrohung sein?
Vulnerable Einrichtungen sollten besser geschützt werden. Aber es braucht so viel mehr. Und Europa muss sich Taktiken überlegen, wie Menschen, die radikalisiert wurden, wieder deradikalisiert werden. Wir müssen klar benennen, dass menschenverachtende Ideologien unser Leben und unsere Lebensweise bedrohen. Man muss auf Dschihadismus mit der vollen Härte des Rechtsstaats reagieren. Auf keinen Fall soll man Marginalisieren und Abschieben. Wichtig ist, dass kein »Wir gegen sie«-Narrativ aufkommt und es zu einem Kampf der Kulturen kommt. Das ist doch genau, was die Dschihadisten wollen, und das spielt ihnen in die Hände.
Was erwarten Sie von der österreichischen Regierung?
Das kann ich erst in einigen Tagen wirklich beantworten, wenn alle Hintergründe klar sind. Aber: Europa muss reflektieren: Wenn man weiterhin mit Erdogan zusammenarbeitet, sich von ihm erpressen lässt, dessen Regime Islamisten unterstützt und gemeinsam kämpft, dann ist das ein Teil des Problems. Es sind doch solche Staaten, gegen die man aufstehen muss und nicht Muslime im eigenen Land.
Sie haben eine Tweet geretweetet, in dem steht: »Der Typ, der dem Attentäter ›Oaschloch‹ hinterhergerufen hat, verkörpert das Wien, das ich kenne und so unglaublich gern mag, am besten.« Wie würden Sie denn die Situation in Wien gerade beschreiben?
Es ist schon surreal. Wien schien immer sicher und eine Insel der Seligen, denn hier ist seit vielen Jahren eben nicht das geschehen, was in anderen europäischen Städten passiert ist. Und seit gestern in alles anders. Ich lebe selbst in der Innenstadt, und plötzlich haben Polizistinnen und Polizisten in Kampfmontur Menschen in die Häuser geschickt. Schreiende Menschen liefen durch die Stadt. Es war eine Extremsituation. Und dieser Tweet zeigt: Wien lässt sich nicht unterkriegen. Wir sind stärker.
Mit dem EUJS-Präsidenten sprach Katrin Richter.