Vor ein paar Tagen stellte ein Schweizer Journalist in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seinem jüdischen Radiogast die Frage: »Seit dem Holocaust sind noch nicht so viele Juden umgebracht worden. Wie gehen Sie damit um?«
In seiner Tonalität lag eine Art von professioneller Nonchalance, die nicht zu ertragen war. Damit kann man nicht umgehen! Wie soll man denn mit dem Brutalsten des Brutalen umgehen können? Menschen, die der Welt meisterhaft inszeniert vorführen, wie sie andere abschlachten, sind keine Menschen. Es sind noch nicht einmal Tiere. Es sind Bestien.
Nach solchen Ereignissen verstummen viele Menschen – entweder sind sie sprachlos, oder sie haben Angst. Oder aber – und das gibt mir besonders zu denken –, sie verwandeln sich in Gutmenschen, die einem die Welt erklären wollen. Aber auch hier wieder: Was gibt es zu verstehen, wenn Menschen einfach abgeschlachtet werden?
Bei Terrorismus gibt es nichts zu erklären. Er ist mit nichts zu legitimieren, auch nicht mit israelischer Politik. Selbstverständlich kann und soll sie kritisiert werden, wenn der Kontext es zulässt. Doch Kritik und Ideologie stehen zusammen auf Messers Schneide. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass gerade intellektuelle Kreise nicht in der Lage sind, hier zu differenzieren. Das jüngste Beispiel in Harvard zeigt, dass die aktuellen Diskurse – also all die woken, identitären und postkolonialen Theorien, wo es um Diversität, Rassismus und Minderheiten geht – keine scharfe Trennlinie zwischen Juden und Antisemitismus ziehen.
Es ist irritierend, dass ausgerechnet jene, die sich mit Diversität, Rassismus und Minderheiten beschäftigten, auf beiden Augen blind sind, wenn es um Juden und Antisemitismus geht. Was dazu führt, dass die Lesart der Ereignisse auch das Opfer-Täter-Schema dreht. Dann überraschen auch Stellungnahmen wie diese von mehr als 30 studentischen Organisationen der Harvard University vom 7. Oktober nicht: »Wir machen das israelische Regime vollumfänglich verantwortlich für die sich entwickelnde Gewalt.«
Ja, die Situation in Gaza ist desolat und grauenhaft. Tote Zivilisten sind immer zu viel. Aber die Attacken des 7. Oktober haben nicht nur »sur place« stattgefunden. Mit ihnen geriet die ganze Welt ins Wanken – sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Und es braucht kein Orakel von Delphi, das voraussagt, dass nun Angst in den Köpfen jüdischer Menschen grassiert.
Dass außerhalb Israels Eltern ihre Kinder nur noch mit Vorbehalt in jüdische Kindergärten und Schulen schicken, weil sie sich zu Hause, sei es in Deutschland, Frankreich, Holland oder in der Schweiz, unwohl fühlen.
Und vor allem, dass Israel, ein Ort, wo man sich als jüdische Person sicher und zu Hause gefühlt hat, wohl nie mehr dieses Land sein wird – jedenfalls vorerst. Wie war das noch mal mit der Frage: »Wie gehen Sie damit um?«