Kiew

Wie gefährlich ist es in der Ukraine?

Spricht von Ausnahmen: Sascha Nasar Foto: Philipp Fritz

Ukrainische Trachten und Sprechgesänge – was auf den ersten Blick aussieht wie ein harmloses Volksfest, ist ein Gedenken für Kriegsverbrecher. Im Frühjahr 2018 marschieren Hunderte Einwohner über das Kopfsteinpflaster von Lviv (Lemberg), der größten Stadt im Westen der Ukraine. Einige tragen Militäruniformen und halten das Wappen der SS-Division »Galizien« hoch. Diese wurde 1943 aus ukrainischen Freiwilligen aufgestellt, ihre Mitglieder begingen Massaker an der Zivilbevölkerung.

Die lächelnden Teilnehmer des Marschs scheint das kaltzulassen. »Eine skandalöse Veranstaltung, die nicht erlaubt sein sollte«, sagt Eduard Dolinski, Direktor des Ukrainischen Jüdischen Komitees.

Minderheiten Es sind vereinzelte Ereignisse wie dieses, die russische Staatsmedien veranlassen, zu behaupten, in der Ukraine grassierten Antisemitismus und Gewalt gegen Minderheiten. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland bemüht sich der Kreml, ein Bild von der Ukraine als einem Land zu zeichnen, in dem Juden nicht mehr sicher seien.

»Wir sehen Neonazis, Nationalisten und randalierende Antisemiten in (...) der Ukraine«, sagte Wladimir Putin bereits 2014 während einer Pressekonferenz. Es war der Auftakt zu einer Propagandakampagne, die den Ruf der Ukraine schädigen will.

Lviv »Russische Desinformationskampagnen bereiten mir mehr Sorgen als der Antisemitismus in meinem Land«, sagt Sascha Nasar von der jüdischen Gemeinde in Lviv. Er sitzt im Aufenthaltsraum einer Synagoge in der Nähe des Opernplatzes. Auf dem Tisch stehen noch Getränke vom letzten Schabbat, an der Wand hängen Fotos von einigen Gemeindemitgliedern. »Nur eine von uns ist in den vergangenen Jahren nach Israel ausgewandert«, sagt Nasar. »Das hatte wirtschaftliche Gründe, mehr nicht.« Er spielt darauf an, dass russische Internetseiten das Gerücht streuen, ukrainische Juden würden aus Angst vor Übergriffen massenhaft das Land verlassen.

»Das Ziel russischer Desinformationskampagnen ist es, die Ukraine zu verunglimpfen«, sagt Jakub Kalensky, Experte für russische Propaganda beim Atlantic Council, im Gespräch mit dieser Zeitung. »Dabei haben die Ukrainer gerade mit überwältigender Mehrheit mit Wolodymyr Selenskyj einen Juden zum Präsidenten gewählt.«

»Nur eine von uns ist in den vergangenen Jahren nach Israel ausgewandert.«Sascha Nasar, Jüdische Gemeinde Lviv

Aber das heißt nicht, dass es in der Ukraine keinen Antisemitismus gibt. Das lässt sich an der Fassade der Synagoge in Lviv ablesen. Die Umrisse eines Hakenkreuzes sind zu erkennen, eine Schmiererei, die mit einem Spachtel weggekratzt wurde.

Rechtsextreme »Eine Ausnahme«, nennt Nasar das und macht eine wegwischende Handbewegung. »Natürlich gefällt mir das nicht, aber wo es Juden gibt, gibt es eben auch Antisemitismus.« Demos wie die für die SS-Division »Galizien« bereiten ihm Unbehagen. Aber Nasar weiß, dass in der Ukraine rechte und rechtsextreme Gruppen in Umfragen nicht einmal auf vier Prozent der Stimmen kommen.

Das renommierte Pew Research Center veröffentlichte 2016 eine Studie, die der Ukraine bescheinigt, über das höchste Maß an »Akzeptanz« für Juden unter allen ost- und mitteleuropäischen Ländern zu verfügen. Gerade einmal fünf Prozent gaben an, Juden als Mitbürger nicht zu akzeptieren. Zum Vergleich: In Russland waren es 14 Prozent.

Angriffe auf Juden werden in der Ukraine selten registriert, der letzte 2016. Damals wurde in der Stadt Schitomir ein Rabbiner von vier Personen brutal zusammengeschlagen. Ein halbes Jahr später erlag er seinen Verletzungen. Angriffe wie dieser schockieren Nasar. »Derartige antisemitische Straftaten sind schrecklich«, sagt er. »Doch dass es in der Ukraine für Juden besonders gefährlich sei, das stimmt einfach nicht.«

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Meinung

Die polnische Krankheit

Der Streit um einen Tweet der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt, dass Polen noch immer unfähig ist, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen

von Jan Grabowski  26.11.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Hollywood

80 Jahre Goldie

Die quirlige Schauspielerin feiert ihren runden Geburtstag – und ist nicht zu bremsen

von Barbara Munker, Sophie Albers Ben Chamo  23.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

USA

Zwölf Familien, eine Synagoge

Die meisten Juden in Nordamerika leben in Großstädten, auf dem Land gibt es nur wenige Gemeinden – aber gerade dort wächst eine besonders starke Identität. Ein Besuch in der Kleinstadt Rome im Bundesstaat Georgia

von Katja Ridderbusch  21.11.2025