Von den 215 Millionen Einwohnern, die Brasilien als siebtgrößter Staat auf diesem Planeten hat, sind rund 120.000 jüdisch. Ein Teil der Community ist unglücklich über den Wahlausgang, da Jair Bolsonaro, so rechts er auch ist, hervorragende Beziehungen zu Israels früherem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu pflegte. Andere sind erleichtert, dass Bolsonaro gescheitert ist und hoffen auf einen Neuanfang mit dem linken »Lula«.
Diplomatische Reaktion
Bei der Stichwahl am Sonntag holte Da Silva 50,9 Prozent der Stimmen, während 49,1 Prozent auf den rechten Amtsinhaber entfielen, den sowohl Gegner als auch Fans als »Trump von Brasilien« sehen. In der Tat gibt es Parallelen. Zuletzt hofften viele Brasilianer, dass Bolsonaro im Gegensatz zu Trump seine Wahlniederlage anerkennen wird.
Das brasilianische Äquivalent des Zentralrats der Juden, nämlich die Confederação Israelita do Brasil, versucht, zwischen der jüdischen Gemeinschaft auf der einen und der Regierung und den Institutionen des Landes auf der anderen Seite zu vermitteln. Sie vertritt Juden mit den unterschiedlichsten Ansichten. Auch daher fiel die Reaktion der Organisation diplomatisch aus.
Konstruktiver Dialog
»Präsident Lula, wir wünschen Ihnen Erfolg für Ihre vierjährige Amtszeit«, schrieb der Präsident der Organisation, Claudio Lottenberg. »Zugleich bekräftigen wir unsere Bereitschaft zu einem konstruktiven und demokratischen Dialog.«
Das Wort konstruktiv ist wohl eine gute Wahl, denn Da Silva ist nicht gerade als größter Freund des einzigen jüdischen Staates auf der Welt bekannt. Vor zwölf Jahren war er das erste brasilianische Staatsoberhaupt, das Israel besuchte. Damals weigerte sich »Lula«, das Grab von Theodor Herzl zu besuchen, dem Vater des Zionismus. Stattdessen legte er einen Kranz auf dem Grab des früheren PLO-Führers Jassir Arafat in Ramallah ab. Dies war ein klares Zeichen. Selbiges galt für Lulas sofortige Anerkennung eines palästinensischen Staates, den es bis heute nicht gibt.
Israelische Flagge
Ein Jahr zuvor hatte Da Silva nicht nur die jüdischen Brasilianer schockiert, indem er den damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschād, einen ebenso prominenten wie notorischen Judenhasser und Holocaustleugner, nicht nur einlud sondern ihm auch noch einen warmen Empfang bereitete. Hier hagelte es natürlich auch im Ausland Kritik.
Noch-Amtsinhaber Bolsonaro wird seit seiner Amtsübernahme am 1. Januar 2019 Rassismus, Homophobie und Frauenhass vorgeworfen sowie Ignoranz beim Thema Klimakrise. Er wollte mit Härte gegen Umweltschützer und Urvölker im Amazonasgebiet vorgehen. Was man ihm sicherlich nicht vorwerfen konnte war eine antiisraelische Haltung. Wie brasilianische Medien berichteten, trug seine Ehefrau im Wahllokal am Sonntag sogar ein T-Shirt, das mit der israelischen Flagge versehen war. Ein Zufall war dies vermutlich nicht.
Zweite Runde
Da Silva hatte nach seiner ersten Präsidentschaft ein ganz anderes Problem. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Vorwürfe: Korruption und Geldwäsche. Lula selbst wies alle Anklagepunkte als falsch zurück, befand sich jedoch 580 Tage lang hinter Gittern, bis das Oberste Gericht Brasiliens die Urteile im vergangenen Jahr aufhob. Dies machte den Weg frei für die Kandidatur Da Silvas.
Die jüdische Gemeinschaft Brasiliens mag divers sein. Alle Lager, rechts, Mitte und links, hoffen jedoch auf eine bessere zweite Runde mit Luiz Inácio Lula da Silva.