Donnerstagabend vergangener Woche in der liberalen Londoner Synagoge in St. John’s Wood. Der Toraschrein ist mit einem Tuch verhängt, davor ein großes rotes Plakat mit dem Symbol der jüdischen Arbeiterbewegung JLM. Das Bethaus ist voll wie an Jom Kippur, alle 1020 Plätze sind besetzt.
Die britische Labour-Partei sucht nach der Wahlschlappe vom Dezember einen neuen Chef. Die vier potenziellen Nachfolger von Jeremy Corbyn touren durchs ganze Land, um sich den verschiedensten Labour-Gremien und der Partei angeschlossenen Gruppen vorzustellen. Heute sind sie zu Gast bei der jüdischen Arbeiterbewegung. Die hat gemeinsam mit der Wochenzeitung »Jewish News« und der Gruppe der Freunde Israels in der Labourpartei zu der Veranstaltung eingeladen.
Besonderen Beifall erhält die Kandidatin Lisa Nandy.
Aus der Nominierung einzelner Verbände, Gewerkschaften und Gruppen entsteht dann eine endgültige Liste für die Wahl.
Antisemitismus Mit der jüdischen Arbeiterbewegung hatte die Partei in den vergangenen Jahren heftigen Streit. JLM warf Labour vor, die antisemitischen Fälle in der Partei unzureichend und nur zögernd zu bearbeiten. Deshalb erklärte JLM im Dezember, sie werde Labour bei den Wahlen nicht unterstützen. Es war das erste Mal in der rund 100-jährigen Geschichte des jüdischen Verbands.
Viele, die an diesem Abend in die Synagoge gekommen sind, interessiert, wie es jetzt weitergeht, so etwa die 68-jährige Gloria Raven. »Ich bin hier, um mich darüber zu informieren, wie die Labourpartei mit dem Antisemitismusproblem umgeht«, sagt sie. Raven war früher Labourmitglied, derzeit gehört sie nur noch der jüdischen Arbeiterbewegung an. Wie viele andere will sie wissen, ob Labour in Zukunft für sie wieder eine Rolle spielen kann.
Forderungen Die Kandidaten enttäuschen nicht. Alle bitten um Entschuldigung für die Misere und versprechen, die Empfehlungen der noch laufenden parteiinternen Untersuchungen zu den Antisemitismusvorwürfen sowie die Forderungen des jüdischen Dachverbands Jewish Board of Deputies zu berücksichtigen. Dazu zählt auch die volle Anerkennung der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) sowie die Schaffung eines parteiunabhängigen Beschwerdeverfahrens.
Besonderen Beifall erhält die Kandidatin Lisa Nandy, Abgeordnete aus Wigan bei Manchester, für ihre leidenschaftliche und kompromisslose Rede. »Ich schäme mich, dass wir unsere moralische Stimme verloren haben«, sagt sie den Versammelten und nennt den Antisemitismus ein Gift, das nicht nur Juden schade, sondern auch die Partei zerstöre. »Ich verspreche Ihnen, dass dies niemals wieder geschieht.« Auf Nachfrage betont sie sogar, Zionistin zu sein, und stellt klar, wie häufig sie sich offen in der Fraktion quergestellt habe.
Die vier Kandidaten sind sich einig, dass Labour in der Vergangenheit nicht ausreichend auf Judenhass in den eigenen Reihen reagiert hat.
Auch der Abgeordnete Keir Starmer verweist auf seine kontinuierliche und öffentliche Kritik in den vergangenen Jahren. Zudem macht er öffentlich, dass seine Eltern jüdisch sind und er Familie in Israel hat. Schatten-Außenministerin Emily Thornberry verweist auf ihren jüdischen Ehemann und hebt ihr Recht hervor, Netanjahu zu kritisieren, während sie sich für Israel und Palästina sowie für die Zweistaatenlösung einsetze. Und selbst Rebecca Long-Bailey, Lieblingskandidatin der Corbyn-Linken, erklärt sich an diesem Abend zur Zionistin – doch überzeugt sie nicht so stark wie die anderen.
Im Grunde sind sich die vier Kandidaten an diesem Abend einig, dass Labour in der Vergangenheit nicht ausreichend auf den Judenhass in den eigenen Reihen reagiert hat. Sie erklären, dass die Partei zu ihren Werten von Gleichberechtigung und Antirassismus zurückfinden muss, damit sie auch für jüdische Mitglieder wieder zur politischen Heimat werden kann.
Zukunft Als am Ende der Veranstaltung die Frage gestellt wird, ob sie sich in Zukunft vorstellen könnten, wieder Labour zu wählen, heben viele Anwesende ihre Hand.
Nach Abschluss der Wahl nominierte die jüdische Arbeiterbewegung am vergangenen Freitag Lisa Nandy. Sie erhielt 52,3 Prozent der Stimmen. Keir Starmer kam auf 45,3 Prozent, Rebecca Long-Bailey auf 1,4 Prozent. Für die Kandidatin Emily Thornberry stimmten 1,9 Prozent der Mitglieder, doch fiel sie inzwischen aus dem Rennen, da sie auch in anderen Labour-Gruppen und -Vereinen nicht genügend Stimmen erhalten hatte.