Am Sonntag wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Das Ergebnis wird mit Spannung erwartet, denn das Rennen könnte knapp werden. Der sozialistische Kandidat François Hollande liegt zwar in den Umfragewerten vorn, doch der amtierende Staatschef Nicolas Sarkozy von der konservativen UMP hat durchaus die Chance, wiedergewählt zu werden. Vor allem die Ereignisse der vergangenen Wochen könnten dem angeschlagenen Präsidenten zugutekommen.
Als am 19. März in Toulouse drei Juden von einem islamistischen Attentäter erschossen wurden, war Präsident Sarkozy als Erster vor Ort. Auch die Tage danach fiel er in der Gemeinde durch seine Reaktionen und seine Anteilnahme positiv auf.
Wähler, die sich bereits von ihm abgewandt hatten, erinnerten sich plötzlich wieder an den damals für sein hartes Durchgreifen bei der Kriminalitätsbekämpfung berüchtigten Innenminister Sarkozy, der daraus später eine der Prioritäten seiner Amtszeit machte. Seinen aktuellen Wahlkampfslogan »La France forte« (Starkes Frankreich) hat er nicht ohne Grund gewählt.
debakel Insbesondere die jüdische Gemeinschaft schien nach diesem starken Auftritt geneigt, das Debakel um die von der UMP geforderte Etikettierung von koscherem und Halal-Fleisch zu vergessen. Immerhin hatte sich die jüdische Dachorganisation CRIF mit der Regierung auf einen Kompromiss einigen können, der die Etikettierung auf freiwilliger Basis vorsieht.
Man scheint in der Gemeinde bereit zu sein, dem Präsidenten seine gelegentlichen Fauxpas zu verzeihen, wie etwa, als er beim G20-Gipfel im November gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama über Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu lästerte oder die palästinensische Bewerbung um einen Sitz in der UNESCO unterstützte.
François Hollande wird trotz allem mit größerer Skepsis beäugt, denn die Sozialisten – so fürchten einige – seien in Fragen der inneren Sicherheit und besonders im Kampf gegen islamistisch motivierten Terrorismus viel zu tolerant. Hinzu kommt die Tatsache, dass einige kein Vertrauen in das sozialistische Wirtschaftsprogramm haben.
Die Wähler wissen nicht, was sie von Hollande erwarten können, ob er, der noch nie Minister war, das Land wirklich führen kann. Bei Sarkozy dürfte es dagegen keine Überraschungen geben, man hat gesehen, wie er regiert.
Der rechtsextreme Front National hat die Verunsicherung der Wähler erkannt und spielt am stärksten damit. Ob gewaltbereite Muslime, Einwanderung oder Eurokrise, die Partei weiß, wie man mit umstrittenen Themen auf Stimmenfang geht. Kandidatin Marine Le Pen hielt etwa nach dem Anschlag in Toulouse mehrere Brandreden, in denen sie unter anderem erklärte: »Wie viele Mohamed Merahs (Name des Attentäters, Anm. d. Red.) kommen jeden Tag über Schiffe und Flugzeuge, die mit Einwanderern vollgeladen sind, nach Frankreich?« und »Wie viele Mohamed Merahs gibt es wohl unter den Kindern dieser nicht-assimilierten Immigranten?«
Einwanderung Die drei Themen islamistischer Terrorismus, Einwanderung und Integration werden auch innerhalb der jüdischen Gemeinde diskutiert. Ein kleiner Kreis hat sich kürzlich zur Union des Français Juifs (Union jüdischer Franzosen, UFJ) zusammengeschlossen. Die Vereinigung verfolgt ein klares politisches Ziel, das die restliche Gemeinschaft ziemlich überrascht und schockiert hat: Die Mitglieder der UFJ unterstützen Marine Le Pen.
Jacques Rosen gehört zur Führungsriege der Union. Er erklärt sein Engagement für die FN-Kandidatin folgendermaßen: »Nicolas Sarkozy ist wegen seines Programms gewählt worden, das die Einwanderung reduzieren und den Erwerb der Staatsbürgerschaft erschweren sollte. Die Realität sah allerdings genau anders aus.« Darüber hinaus würden immer mehr jüdische Franzosen erkennen, dass »der Antisemitismus in Frankreich fast ausschließlich islamischen Ursprungs ist und der Anstieg dieser Form von Antisemitismus die direkte Konsequenz dieser laschen Immigrationspolitik sowie von verstärkten Zugeständnissen an die islamische Religion ist«. Marine Le Pen sei »als Einzige fähig, diese Situation zu beenden«, so Rosen.
goldene Mitte Selbst wenn die Position der UFJ in der jüdischen Gemeinde eine absolute Ausnahme darstellt, sehen viele in der UMP die goldene Mitte. Denn neben den Zweifeln an der politischen Durchschlagskraft der Sozialisten fürchten manche jüdische Wähler, dass Hollandes Partei linke Tendenzen sowie zu viel Toleranz und Gutmenschentum gegenüber Islamisten und Antisemiten an den Tag legen könnte. Die Linksextremen sind dementsprechend noch schlechter in der jüdischen Wählergunst gestellt. Denn traditionell prangern sie Israels Politik an und ergreifen Partei für die Palästinenser.
Erst vor Kurzem verkündete die Kandidatin der Trotzkisten, Nathalie Arthaud: »Die Politik der israelischen Regierung verwandelt das Palästinensergebiet in Konzentrationslager unter freiem Himmel.« Grünen-Kandidatin Eva Joly gab Arthaud recht: »Das kann ich so unterschreiben.«
Die Reaktionen der jüdischen Gemeinschaft fielen heftig aus. Der CRIF, die Studentenvereinigung UEFJ sowie jüdische Medien haben die Äußerungen scharf kritisiert. Das Internetmagazin JSS News titelte gar: »Schickt Eva Joly nach Auschwitz!« Es ist also ziemlich sicher, dass die Linksextremen und Grünen, die ohnehin schlecht abschneiden dürften, nicht auf jüdische Stimmen zählen können.
Eine im März veröffentlichte Ifop-Umfrage ergab, dass zwar viele der insgesamt rund 260.000 jüdischen Wähler mit Sarkozys Politik unzufrieden sind, aber 43 Prozent der Befragten weiterhin hinter ihm stehen. Die Zeitschrift Tribune juive wollte diesem Trend entgegenwirken und veröffentlichte am 13. April einen Artikel mit »schlechten Gründen«, Sarkozy zu wählen. Darin wird unter anderem seine Steuerpolitik aufgeführt, die vor allem den Reicheren zugutekommt. Ob derartige Argumente UMP-Wähler umstimmen können, wird sich am kommenden Sonntag zeigen.