Von Haus aus bin ich Ballerina, stand in der Schweiz und in Dänemark auf der Bühne. Ich habe jedoch erkannt, dass diese Arbeit nicht meine langfristige Perspektive sein kann. Die Außenwahrnehmung des Balletts ist zwar sehr positiv, doch die Realität ist oft toxisch. Im Gegensatz zu meinen Co-Eleven wollte ich auch etwas für den Intellekt machen. So beschloss ich, meine Tanzkarriere an den Nagel zu hängen, und schrieb mich an der International Business School in meiner Geburtsstadt Budapest ein.
Nach dem Studium bewarb ich mich im Außenministerium und arbeitete schließlich in Brüssel in der EU-Repräsentanz. Nach einiger Zeit wechselte ich zu einer Agentur für Kommunikationsberatung, einer in Belgien tätigen israelischen Firma. Dort lernte ich meinen inzwischen Ex-Freund kennen, der mich immer wieder nach Israel einlud, was ich aber stets ablehnte. »Nein, danke. Zu viele Juden«, dachte ich mir. Überhaupt, bei dieser Agentur anzufangen und dann noch mit einem Israeli auszugehen, hatte mich nicht wenig Überwindung gekostet.
Tränen stiegen hoch
Denn wie zahlreiche andere Ungarn wuchs auch ich in einem antisemitischen Umfeld auf, geprägt von den üblichen Stereotypen: Juden seien gierig, würden sich nur gegenseitig helfen, beherrschten die Welt und so weiter und so fort. Es war weder Hass noch Holocaust-Leugnung, auch bestritt ich das Existenzrecht Israels nicht. Es war eher Abwertung aus Unwissenheit. Womit ich nichts entschuldigen will.
Nach anfänglichem Zögern gab ich schließlich nach. In Israel angekommen, veränderten sich meine Einstellung und mein Empfinden schlagartig. Bis heute kann ich mir nicht erklären, was genau in mir passiert ist. Schon am Ben-Gurion-Flughafen hat es mich erwischt! Ich wurde emotional, Tränen stiegen hoch. Auch später. Nicht die großartigen Strände, nicht die historischen Orte, vielmehr die Menschen hatten es mir angetan.
»Diese Juden sind gar nicht so üble Geschöpfe«, meldete sich meine innere Stimme zurück. Und ich fragte mich: Wer hat mir früher eigentlich so viel Unsinn über diese Menschen erzählt – und warum? Ich war auf dem besten Weg gewesen, eine üble Antisemitin zu werden! Bis dahin war mir nicht einmal bewusst, was es bedeutete, in Europa in Frieden leben zu können.
Mit anderen Augen
Nach meiner Rückkehr nach Brüssel sah ich Nachrichten über den Nahen Osten mit anderen Augen, und ich fing an, die einseitige Berichterstattung über Israel zu hinterfragen. Leider währte die Liebe zu meinem Freund nicht ewig, jedoch wuchs meine Begeisterung für das Land, und ich flog später häufig auch allein hin. Ich begegnete vielen interessanten Menschen, unterhielt mich mit arabischen Israelis in Jerusalem oder mit IDF-Soldaten in Tel Aviv. Jedes Mal wuchs meine Sympathie. Zunehmend empfand ich die negativen Schlagzeilen über Israel und deren Ausweitung auf das Judentum per se als persönliche Attacke. Meine Gedanken dazu gab ich unter anderem in einem Blog der Online-Nachrichten »Times of Israel« kund und startete meine eigene Facebook-Seite »Almost Jewish«, für die ich viel Zuspruch erhalte.
Da ich mir meinen Sinneswandel nicht erklären konnte, habe ich einen Gentest machen lassen und sogar einen Genealogen beauftragt, meinen Familienstammbaum bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Denn wer in Mittelosteuropa hat schon kein jüdisches Blut in den Adern? Wie sich herausstellte: Ich!
Es war weder Hass noch Holocaust-Leugnung. Es war eher Abwertung aus Unwissenheit.
Es war mir wichtig, bei meinen Lesern nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich eine besondere Zuneigung für Juden hege, nur weil ich früher mit einem Israeli zusammen war. Ich wollte, dass das, was ich sage und schreibe, gut fundiert ist. Und so entschied ich mich dazu, an der Touro-Universität in New York Judaistik zu studieren. Gleichzeitig begann ich, für jüdische NGOs zu arbeiten. Ich verfasste weiterhin Artikel, war in den sozialen Medien aktiv und hielt Vorträge an Universitäten. Nicht nur für Juden, darauf versuchte ich immer zu achten.
Nach etwa sieben Jahren, in denen ich nicht erkannte, wie nervenzehrend dieser Job ist, ständig mit Hass und Feindseligkeiten konfrontiert zu sein, verschlechterte sich mein Gesundheitszustand extrem. Ich verließ New York und zog nach Colorado, auf der Suche nach besserer Lebensqualität.
Angebot vom JNF
Im August 2023 rief mich der Direktor des Jewish National Fund USA (JNF) an und fragte, ob ich die Leitung des sogenannten Speaker Bureau übernehmen wolle. Ohne zu zögern, nahm ich das Angebot an. In Europa ist diese Art von »Rednerabteilungen« weniger bekannt. Wir vermitteln professionelle Sprecher zu jüdischen Themen. Ich gebe auch selbst weiterhin Präsentationen.
Vor dem 7. Oktober habe ich meist über meinen persönlichen Weg gesprochen, darüber, wie man Vorurteile abbauen kann. Heute versuche ich klarzumachen, dass der Krieg in Gaza ein Verteidigungskrieg ist, den Israel nicht wollte, warum die Hamas zerschlagen werden muss, und dass das letztlich auch im Sinne der Palästinenser ist. Auch auf der Straße habe ich keinerlei Hemmungen, Menschen anzusprechen, die zum Beispiel ein Palästinensertuch tragen. Ich erhalte weiterhin hasserfüllte Kommentare oder gar Drohungen. Diese zu ertragen, ist nicht einfach. Aber ich baue meinen Frust mit Schreiben ab. Außerdem ist Weinen durchaus eine gute Option.
Und wie schon erwähnt, bekomme ich auch viel Ermutigung. »Schade, dass es nicht mehr Menschen gibt, die so sehr für Juden fühlen«, habe ich schon mehrfach gehört. Und ich antworte: Doch, die gibt es. Allerdings halten sie sich lieber zurück. Denn auch ich selbst habe wegen meines Engagements bereits Freunde und Jobmöglichkeiten verloren.
Bis hin zur Geschichtsfälschung
Warum der Judenhass in letzter Zeit explodiert ist, ist eine Frage, die mir ständig gestellt wird. Die Antwort ist sehr komplex. Eigentlich ist es nichts Neues. Vielmehr handelt es sich um das Resultat strategisch gut durchdachter, gut finanzierter Abläufe, die bereits seit Jahren umgesetzt werden. Angefangen damit, dass Einflüsse von Katar und anderen Ländern die Bildungs-Curricula änderten, bis hin zur Geschichtsfälschung.
Dann die vereinfachte Darstellung der Welt, die diese in Unterdrücker und Unterdrückte, Kolonisierer und Kolonisierte, Reiche und Arme, Weiße und Schwarze, Privilegierte und Nicht-Privilegierte unterteilt, ohne Übergänge, ohne Grau. Und ja, natürlich gelten weiße jüdische Männer als besonders privilegiert. Dazu kommt, dass der verbale Judenhass im Mainstream angekommen ist. Diese neue Normalität der Stereotype ist sogar in die Universitäten gesickert, wo junge, gebildete Menschen plötzlich »Zionismus ist gleich Kolonialismus« brüllen und sich auf der »richtigen Seite der Geschichte« wähnen. Eine ganze Generation ist damit aufgewachsen.
Es ist erstaunlich, wie wenig auffiel, welches Problem da auf uns zurollte. Gegen Israel zu demonstrieren, gilt als cool, eine Kufiya zu tragen, ist Trend. Doch wenn man nachfragt, um welchen »River« und welche »Sea« es eigentlich geht, erntet man verständnislose Blicke. Dazu kommt auch, zumindest in den USA, dass diese Altersgruppe in unermesslichem Wohlstand aufgewachsen ist, zu deren größten Lebensfragen gehört, welches neue iPhone man haben muss. Ihre Leben sind frei von Problemen, also suchen sie sich welche, könnte man meinen.
Was man dagegen tun kann, ist schwer zu sagen, denn Antisemitismus wird es immer geben. Ich bin der Meinung, dass die Slogans und Symbole der Hamas verboten werden sollten. Es handelt sich schließlich um eine Terrororganisation. Der Normalisierung von Judenhass muss mit aller Schärfe begegnet werden. Stellen Sie sich bitte einmal vor: In den USA fällt Holocaust-Leugnung unter die Meinungsfreiheit.
Wenn nur ein Mensch seine Meinung ändert, hat es sich schon gelohnt.
Vor dem 7. Oktober habe ich manchmal empfohlen, antisemitische Bemerkungen nicht gleich zu verurteilen, sondern zu versuchen, deren Herkunft zu erklären. Nicht jeder, der sich antisemitisch äußert, sei gleich ein Judenhasser, dachte ich. Heute bin ich weniger tolerant. Was wir gerade erleben, ist eine ideologisch befeuerte Feindschaft, wogegen man konsequent vorgehen muss. Wenn jemand angefeindet wird, muss dies sofort gemeldet werden. Es gibt eine Vielzahl von Organisationen, an die man sich wenden kann. Oftmals sind Juden zu zögerlich, weil sie befürchten, dass es davon nur noch schlimmer wird. Aber das Nicht-Anzeigen hat womöglich auch zu der Normalisierung von antisemitischen Angriffen geführt.
Ob das, was ich tue, ein Kampf gegen Windmühlen ist? Sicherlich! Dennoch darf nicht aufgegeben werden, denn wir haben eine Verantwortung. Und wenn nur ein Mensch seine Meinung ändert, hat es sich schon gelohnt.
Aufgezeichnet und übersetzt von György Polgár