Frankreich

Wenn Judenhass verleugnet wird

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Wenn Judenhass verleugnet wird

Der Historiker Georges Bensoussan beschreibt in seinem neuen Buch, wie sogenannte Antirassisten gegen ihn kämpfen

von Karl Pfeifer  21.10.2021 08:37 Uhr

Georges Bensoussan stammt aus einer marokkanisch-jüdischen Familie. Als Historiker hat er sich unter anderem auf die Geschichte der Juden im Nahen Osten spezialisiert und seit mehr als 20 Jahren auch auf den Antisemitismus unter muslimischen Einwandererkindern.

In seinem neuen Buch Un exil français. Un historien face à la Justice beschreibt er die gegen ihn angestrengten Prozesse. Das Verbrechen Bensoussans – der schließlich freigesprochen wurde – bestand darin, den »neuen Antisemitismus« anzuprangern.

verkrustung In einer von dem Philosophen Alain Finkielkraut moderierten Sendung, die am 10. Oktober 2015 auf France Culture ausgestrahlt wurde, griff Bensoussan aus dem Gedächtnis heraus Bemerkungen des Straßburger Soziologieprofessors und Migrationsexperten Smaïn Laacher auf, die dieser über die tiefe Verkrustung des Antisemitismus im arabischen Raum gemacht hatte, und sagte: »Es ist eine Schande, dieses Tabu aufrechtzuerhalten, nämlich dass in arabischen Familien in Frankreich – und jeder weiß es, aber niemand will es sagen – der Antisemitismus mit der Muttermilch aufgesogen wird.«

Laacher hatte es so ausgedrückt: »Dieser Antisemitismus ist bereits im häuslichen Raum verankert, und er ist fast natürlich in der Sprache verankert. Sie ist in der Luft, die wir atmen. Eltern nennen ihre Kinder (…), wenn sie sie zurechtweisen wollen, einfach Juden. Alle arabischen Familien wissen das!«

Bensoussan wurde daraufhin als »anti­arabischer Propagandist« bezeichnet. Während echte Rassisten und Antisemiten Gegenstand der medialen Selbstgefälligkeit sind, sobald sie im Namen der Islamophobie mobil machen, blieb Bensoussan nichts erspart: Die staatliche Rundfunkbehörde erteilte im Dezember 2015 dem Sender France Culture, weil er Bensoussans Äußerungen ausgestrahlt hatte, eine »strenge Verwarnung«.

Frankreichs Elite lässt die Juden, die wegen dieses Antisemitismus aus vielen Vororten wegziehen oder auswandern, im Stich.

In der Pariser Tageszeitung »Le Figaro« verteidigten einige Intellektuelle Bensoussan und wiesen darauf hin, dass angesehene Autoren, vor allem solche aus dem Maghreb oder maghrebinischer Herkunft, wie Boualem Sansal, Kamel Daoud, Fethi Benslama und Riad Sattouf, zu diesem tief verwurzelten Antisemitismus Stellung genommen haben.

verlagerung Eine Verlagerung vom kulturellen zum biologischen Rassismus zu beschwören, Milch durch Blut zu ersetzen, wie es die Ankläger von Georges Bensoussan tun, ist ebenso dumm wie böswillig. Die Arbeit, die dieser Historiker mehr als 20 Jahre lang sowohl in seinen Büchern als auch als Chefredakteur der »Revue d’histoire de la Shoah« leistete, zeigt die Unsinnigkeit dieser Anschuldigungen.

Mehdi Meklat, Rapper aus den Banlieus, konnte den Terror verherrlichen und einer Politikerin drohen, ihr »nach muslimischem Ritus die Kehle aufzuschlitzen«, und wurde nicht dafür belangt. Bensoussan hingegen klagte die Staatsanwaltschaft an: Sie folgte einem Bericht des CCIF – einem Verein gegen Islamophobie, der 2020 verboten wurde. An dieser Hetze gegen Bensoussan beteiligten sich eine Reihe von NGOs, darunter auch LICRA (Ligue internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme), die später jedoch auf weitere Klagen verzichtete. 2019 wurde Bensoussan vom Kassationsgericht freigesprochen.

Die sogenannten Antirassisten klagen immer wieder, um eine Botschaft an diejenigen zu senden, die es wagen, verbotene Wahrheiten zu enthüllen. Sie haben bewirkt, dass George Bensoussans Arbeitgeber, Mémorial de la Shoah, ihn auf unwürdige Weise loswurde. Diejenigen, die sich das Recht anmaßen, im Namen der Opfer zu sprechen, unterstützten ihn nicht.

Frankreichs Elite lässt die Juden, die wegen dieses Antisemitismus aus vielen Vororten wegziehen oder auswandern, im Stich. Ein Teil der Linken erträgt es nicht, dass diejenigen, die sie als Opfer sehen wollen, diesen Hass auf Juden verantworten müssen. Sie ertragen es nicht, dass ein arabisch-muslimischer Antisemitismus enthüllt wird, der weder Frankreich noch der Kolonisierung oder dem Zionismus zuzuschreiben ist. George Bensoussan legt den Finger in die Wunde. Das ist sein Verdienst.

George Bensoussan: »Un exil français. Un historien face à la Justice«. L’Artilleur, Paris 2021, 388 S., 20 €

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