Los Angeles

»Wenn die Wellen gut sind«

Herr Levy, bei Ihnen in Los Angeles ist es gerade neun Uhr morgens. Waren Sie heute schon surfen?
Nein, diese Woche sind die Wellen irgendwie recht klein. Außerdem muss ich noch richtig viel erledigen, weil ich für ein paar Tage verreise. Wir müssen noch packen, die Kinder müssen abgeholt werden. Aber klar, ich versuche natürlich so oft wie möglich zu surfen – besonders, wenn die Wellen gut sind.

Wie fühlen Sie sich draußen auf dem Wasser?
Für mich war Surfen schon immer meine Art von Spiritualität. Ich bin als Kind in dieser kleinen israelischen Surferstadt aufgewachsen. Immer, wenn ich schlechte Laune hatte oder wütend war, sagten meine Eltern: »Na gut, geh surfen, geh an den Strand.« Und jedes Mal kam ich mit besserer Laune zurück. Das ist im Erwachsenenleben mit all seinen emotionalen Achterbahnen nun nicht anders – besonders auch seit dem 7. Oktober. Kalifornien hat ja den Ruf, dieser super entspannte Ort zu sein, aber es ist auch stressig, wie in New York City. Hier allerdings kann ich morgens surfen, ich kann Delfine sehen. Und einen Tag so zu beginnen, das ist großartig!

Wie sind Sie beim Surfen?
Ich bin ganz bei der Sache. Ich bin kein übermäßig geselliger Surfer. Manche Leute quatschen die ganze Zeit nur. Ich mag es, einfach zu surfen und abzuschalten. Das ist mein Ding.

Sie haben den Shabbat Surf Club kurze Zeit nach dem 7. Oktober 2023 gegründet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ursprünglich hatte ich die Idee schon vor über zwei Jahren. Ich lebte damals in einer kleinen Surferstadt in Panama, in der es ganz zufällig eine sehr große israelische Community gab. Das waren alles Leute, die dorthin gezogen sind, um zu surfen. Ich hatte dort einen Surfshop, und die Idee für den Shabbat Surf Club kam mir durch all die israelischen Surfer und den einen surfenden Rabbi der Chabad-Gemeinde. Nach dem 7. Oktober 2023 hatten meine Frau und ich aber das Gefühl, dass wir etwas tun müssen. Ich bin kein politischer Mensch, bin nicht religiös, aber ich stehe sehr zu den Traditionen. Es ist die Kultur, mit der ich aufgewachsen bin. Das liberale, das demokratische Israel. Israel ist sehr sexy, und das will ich den Menschen auch zeigen, das Schöne. Ich möchte mehr sagen als nur »Wir lieben Israel, weil wir im Recht sind«.

Und das kann durchs Surfen geschehen?
Die Surfkultur wird oft als dieses Kumpel-Ding angesehen. Aber wenn man sie sich anschaut, dann ist es ein Lifestyle und auch ein Sport, der über alle Vermögensklassen und Ethnien hinwegsieht. Es ist ein bisschen wie in der New Yorker U-Bahn: Da gibt es den CEO eines Fortune-Global-500-Unternehmens, der surft, und einen 16-jährigen Punk, der surft – und das beides zusammen ist selten. Surfer, die sich diesem Lebensstil wirklich verschrieben haben, sind auf der Suche nach Wellen. Sie sind in die entlegensten Winkel der Welt gereist, haben dabei viele Kulturen und die Herausforderungen des Reisens kennengelernt – und das hat ihnen die Augen geöffnet. Das heißt nicht, dass wir alle Freunde sind und alle gut miteinander auskommen, doch so ist nun einmal die menschliche Natur. Aber der Grundgedanke beim Surfen und beim Shabbat Surf Club ist: Ich möchte, dass die Leute Israel verstehen. Ich möchte, dass die Leute sehen, wer wir wirklich sind. Aber das werde ich nicht durch politische oder historische Fakten erreichen.

Wie war das Feedback nach der Gründung – auch auf dem Instagram Account?
Ganz gut. Ich hatte ja keinen klaren Plan, geschweige denn eine Struktur. Am Anfang stand einfach nur ein einprägsamer Name, aus dem sich die Idee für eine jüdische Gemeinschaft entwickelte. Meine Frau sagte: »Du kannst die Dinge so gut erklären und so ruhig, du solltest Videos machen.« Ich war etwas zögerlich, weil ich ja mein unmittelbares Publikum nicht kenne und es dabei auch nicht um mich gehen soll. Ich habe auch kein Auge auf die Zeit oder denke: Oh, ich habe heute noch nichts gepostet. Ich mache einfach ein Video, wenn es gerade passt.

Wer folgt Ihrem Account?
Ich würde sagen, die Mehrheit derer, die dem Shabbat Surf Club folgen, surft nicht, aber das ist auch nicht wichtig. Ihnen gefällt offenbar meine Perspektive oder die Art und Weise, wie ich über Dinge rede. Bei allem, was ich in meinem Leben bislang so gemacht habe, war mir Leidenschaft immer wichtiger als Profit. Aber ich habe noch nie zuvor etwas wie diesen Account gemacht, etwas, das sich so sehr nach einer echten, direkten Reflexion meiner Leidenschaft anfühlt.

In einem Ihrer Videos sprechen Sie von Schuldgefühlen, die Sie haben, wenn Sie Dinge unternehmen, die Spaß machen. Wie gehen Sie damit um?
In solchen Momenten erinnere ich mich einfach daran, wie wichtig es ist weiterzuleben. Ich war das letzte Mal im Februar dieses Jahres in Israel, mitten im Krieg. Aber diese Reise hat mich sofort daran erinnert, was Israel und die Israelis schon immer erstaunlich gut konnten: nämlich einfach weiterzumachen. Es wirkt so leicht, aber wir alle wissen, dass es das nicht ist. Ich bin dort aufgewachsen, erinnere mich an die erste Intifada und die Selbstmordattentate, die Bombenanschläge auf Busse, die Bombenanschläge im Einkaufszentrum, die Kinder aus meiner Schule, die bei Selbstmordattentaten getötet wurden. Aber nie sagte jemand: Wir fahren nicht mehr Bus, oder wir gehen nicht mehr einkaufen. Nein, wir haben weitergemacht, und das Motto lautete immer: »Wenn wir aufhören, dann gewinnt der Feind.«

Wie war es für Sie, im Februar in Israel zu sein?
Bei alldem, was dort passiert ist: Die Strände waren voll. Und es war nicht einmal Sommer. Es war Februar. Es war einfach ein sonniger Tag. An einem Freitagnachmittag sind wir nach Karmel gefahren, und da wimmelte es nur so von Leuten. Die Menschen waren voller Energie. Wir sind zu einem meiner guten Freunde gefahren, der leider kürzlich verstorben ist. Er legte dort als DJ auf. Wir waren draußen, wir tanzten, wir hatten echt Spaß. Dann fängt man irgendwie zwangsläufig an, mit jemandem über das Nova-Festival, über getötete Brüder, über tragische, traurige Geschichten zu reden. In diesem Moment umarmt man einander, man weint zusammen – dann tanzt man weiter. Für mich ist das so ein wesentlicher Teil der israelischen Mentalität. Israelis sind im Allgemeinen am wenigsten aufgeregt, wenn es um solche Dinge geht.

Woher kommt das?
Das ist unsere Realität. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind jedes Jahr eine neue Gasmaske bekam, die mit einem Epi-Pen ausgestattet war. Und man wusste, wenn man die Maske nicht rechtzeitig bekam, musste man sich spritzen. Als Kind kam mir das nicht verrückt oder beängstigend vor. Es war einfach ein Teil des Lebens. Das ist traurig, das ist tragisch. Aber jede Generation von Israelis hat ein Trauma, hat Verluste zu verarbeiten, war im Krieg. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir meistens ein dickes Fell haben. Meine Lektion daraus ist: Wir sollten uns nicht über die kleinen Dinge aufregen. Deshalb sind unsere Schabbat-Essen und -Veranstaltungen wichtig. Wir müssen einfach weiterleben.

Sie tragen gerade ein Basecap mit dem Spruch »Curb Your Antisemitism« und eine gut erkennbare Israelkette. Wie rea­gieren die Menschen darauf?
Im Großen und Ganzen durchweg positiv. Viele, das kann auch gut sein, erkennen möglicherweise nicht, wofür das steht. Ich hatte ein interessantes Erlebnis: Auf einer Veranstaltung bemerkte eine Barkeeperin der Catering-Firma meine Kette. Sie sagte: »Das ist Palästina, oder?« Und ich sagte: »Hmm, nun, ich bin Israeli. Ich denke, es ist eine Frage der Perspektive.« Ich hätte mich aufregen und alle möglichen Gefühle an ihr auslassen können, aber das tat ich nicht. Ich dachte nur: Wow, okay. Wirklich? Ich habe den Umriss Israels auf meine Rippen tätowiert. Es ist mein erstes Tattoo, das ich habe machen lassen, als ich 19 Jahre alt war.

Wir sind zum Zeitpunkt unseres Gesprächs kurz vor den Hohen Feiertagen. Wie werden Sie kommende Woche Rosch Haschana begehen?
Mit meiner Familie. Wir sind alle hier in Los Angeles: meine Eltern, mein Bruder, meine Schwester und alle ihre Kinder. Wir sind ja nicht religiös, aber mein Vater kommt aus Jerusalem, also sind wir damit aufgewachsen, mit allen Feiertagen und mit Schabbat. Wir machen keine großen Essen, feiern eigentlich eher einfach und auf den Punkt. Keiner von uns hat wirklich die Energie für die ganze Arbeit und das Aufräumen danach. Die Feiertage sind für mich trotzdem absolut wichtig. Sie sind mir auch irgendwie wichtiger geworden, seitdem ich selbst Kinder habe. Denn ich möchte diese Traditionen weitergeben und bewahren. Und es gibt noch einen anderen Aspekt: Seit dem 7. Oktober 2023 hat vieles an Bedeutung hinzugewonnen. Ein Slogan des Shabbat Surf Club lautet: »Traditionen bewahren«.

Ein anderer Slogan lautet: »Escape the Politics, go surf«. Wo ist Ihr Lieblings-Surf-Spot?
Sehr wahrscheinlich meine Heimatstadt, in der ich aufgewachsen bin. Wir hatten so unseren Geheimtipp für den Strand, an den nur meine Freunde und ich gingen. Das war ein sentimentaler Ort für mich. Ich liebe das Surfen in Panama. Dort gibt es einige wirklich gute Spots. Und dann noch Westsamoa. Dort ist es einfach nur magisch! Ich liebe die polynesische Kultur. Westsamoa fühlte sich – zumindest als ich dort war – an, wie vielleicht Hawaii vor 150 Jahren. Sonntags zum Beispiel wird dort nicht gesurft, weil es ein Tag für die Kirche und ein Tag der Ruhe ist. Ich mag keine touristischen Orte. Kalifornien hat tolle Wellen, aber es ist echt überfüllt. Aber die Wellen – sie sind hier einfach so wunderschön und beeindruckend.

Mit dem Surfer sprach Katrin Richter. Mehr zum Shabbat Surf Club unter
www.instagram.com/shabbatsurfclub

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