Ein Mittwochnachmittag in Gols eine Autostunde südöstlich von Wien, nahe der ungarischen Grenze. Die Sonne muss sich mittlerweile durch die Wolken kämpfen. Es riecht nach Herbst. Der Neusiedler See glitzert in der Ebene, so weit das Auge reicht lange Reihen von Weinstöcken. An manchen hängen blaue Reben, dunkel, prall und reif. Weiße Trauben gibt es keine mehr, sie reifen früher und sind längst geerntet und gepresst. Jetzt gärt der Weißwein in den Tanks der Winzer, später wird er in Barrique-Fässer gefüllt und geht nächstes Jahr als Weißburgunder, Chardonnay oder Grüner Veltliner auf den Markt. Es sei ein gutes Jahr gewesen, sagen die Winzer.
Das Burgenland gilt wegen seines Klimas und der guten Böden als eine der besten Weinregionen Österreichs. Vielerorts lebt man vom Wein, auch in Gols. Rund die Hälfte der Gemeindefläche ist mit Weingärten bedeckt. Ja, es sind Gärten, keine Weinberge – denn Berge gibt es hier nicht auf der sogenannten Parndorfer Platte.
»Ich nehme Panzerband«
Im Hof der Kellerei Achs am Ortsausgang sitzt der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister in der Nachmittagssonne. Schwarze Hose, weißes Hemd, dunkle Weste, auf dem Kopf ein schwarzer Hut, wie es sich für einen orthodoxen Rabbiner zu gehören scheint. In der Hand ein Weinglas mit trübem, leicht vergorenem Most, »Sturm«, wie man hier sagt. »Er ist gut«, sagt Hofmeister, nickt anerkennend und nimmt einen weiteren Schluck. Es ist sein eigener Most.
Vor einigen Wochen hat der 49-Jährige bei Winzer Thomas Achs 400 Kilo weiße Trauben gekauft, um daraus einen koscheren Chardonnay zu machen. In zwei Edelstahltanks gärt er vor sich hin. Hofmeister hat die beiden Tanks doppelt versiegelt, so schreibt es die Halacha vor. »Früher verwendete man Schnüre und Siegellack dafür«, sagt er. »Ich nehme Panzerband.«
In einigen Wochen wird er den Wein in Eichenfässer füllen, später dann in Flaschen. Knapp 400 könnten es diesmal werden. Am Ende wird er Etiketten mit einem Koschersiegel darauf kleben. Als Rabbiner, der die gesamte Herstellung des Weins beaufsichtigt hat, darf er den Wein selbst als koscher zertifizieren. Doch er beaufsichtigt die Produktion nicht nur, sondern er produziert den Wein. Einen Teil behält er für sich, der Rest wird verkauft oder an Bedürftige verschenkt. Leon, ein bärtiger junger Mann Mitte 20 mit schwarzer Kippa und grauer Jogginghose, geht dem Rabbiner bei der Produktion und Vermarktung zur Hand.
Nur der Rabbi darf den Wein berühren
»Die Vorschriften für die Herstellung von koscherem Wein sind viel strenger als für koscheres Bier«, betont Hofmeister. Denn anders als Bier werde Wein für rituelle Zwecke verwendet. Bei koscherem Wein müsse von alters her darauf geachtet werden, dass er nicht für heidnische Kulte missbraucht werde.
Von dem Zeitpunkt an, da die Trauben gepresst werden, bis zur Abfüllung des Weins in Flaschen und dem Entkorken dürfen nur Juden an der Produktion mitwirken und den Wein berühren – und auch nur solche, die den Schabbat halten.
Dem Rabbiner scheint es ein wenig unangenehm zu sein, dies so deutlich zu erklären. Er möchte Nichtjuden keinesfalls vor den Kopf stoßen. »Diese Regeln sind sehr alt«, sagt er. »Sie wurden Halacha und gelten bis heute.« Sie seien in einer Zeit entstanden, als die Griechen dem Zeus und anderen ihrer Götter opferten. »Aus jüdischer Sicht ist das Götzendienst und streng verboten.«
Früher, als junger Mann, machte der Rabbiner in seiner Küche Wein.
Winzer Thomas Achs lächelt. Er habe kein Problem damit, wenn er sich vom Wein des Rabbiners fernhalten muss, sagt der 51-jährige kräftige Mann mit burgenländischem Akzent. »Ach was«, winkt er ab, »ich freuʼ mich, dass der Schlomo seit Jahren zu uns kommt und seinen koscheren Wein hier produziert.« Achs, der selbst katholisch ist, hat Hofmeister einen kleinen Schuppen auf seinem Hof vermietet, berät ihn, und inzwischen sei der Rabbiner so kundig, dass es Achs Freude mache, gelegentlich mit ihm zu fachsimpeln.
Fast 20 Jahre ist es her, dass sich die beiden Männer kennenlernten. Hofmeister suchte jemanden, der ihm Trauben für die Herstellung von koscherem Wein verkauft, und stieß über Bekannte auf Thomas Achs, der aus einer alten burgenländischen Weinbauernfamilie stammt. Seitdem hätten sie schon viele gute Jahrgänge produziert, sagt er.
»Ich mache aber nicht jedes Jahr Wein«, entgegnet Hofmeister, »nur dann, wenn die Qualität der Trauben gut ist.« In den vergangenen beiden Jahren war sie das, und auch in diesem Jahr. »Man traut sich’s kaum zu sagen: Das liegt natürlich auch am Klimawandel, an den warmen Sommern.«
In kleinerem Maßstab kelterte Hofmeister bereits als junger Mann in Jerusalem, als er dort in einer Jeschiwa lernte. Damals habe er in seiner Küche die Trauben gepresst und später in Wien dann ein paar Jahre im eigenen Wohnzimmer. »Ich habe den Boden mit Folie ausgelegt«, erzählt er, »aber frag nicht, wie das nachher aussah!«, sagt er zu Winzer Achs und winkt ab.
Gründlich ausgespülter Maischtank
In dem Schuppen, den der Rabbiner bei Winzer Achs gemietet hat, steht neben den beiden Edelstahltanks ein großer Maischtank. Darin goren während der letzten Wochen 320 Liter Maische, die Hofmeister aus den weißen Trauben gepresst hat. Heute hat er sie in die beiden Edelstahltanks gepumpt, um Platz zu schaffen für die Maische aus den roten Trauben für seinen Merlot. Er hat den Maischtank gründlich ausgespült, nun wartet er auf die Trauben. Gegen 17.30 Uhr sollen 2000 Kilo aus einem von Thomas Achsʼ Weingärten auf der anderen Seite des Sees ankommen.
»Es wird etwas später«, ruft Achs über den Hof. »Es hat Probleme gegeben mit den ungarischen Erntehelfern.« Er habe Ersatz finden müssen. »Lange kann’s aber nun nicht mehr dauern.«
Alles ist vorbereitet. Vor dem ausgespülten Tank hinten im Schuppen hat Hofmeister den Maischer gestellt, eine kleine metallene Maschine mit Walzen, die die Trauben sanft zerdrücken, sodass die Maische entsteht, die Mischung aus Traubensaft, Schalen, Fruchtfleisch und Kernen. Sie wird dann durch einen Schlauch in den Maischtank gepumpt. Quer vor dem Schuppen steht der Rebler, ein Kasten aus Edelstahl, in dem die Beeren von den Stielen getrennt werden. Das manuelle Entfernen der Stiele wäre zu aufwendig. Mit dem Rebler hingegen ist es möglich, in kurzer Zeit eine große Menge Trauben zu verarbeiten. Der Rabbiner hat auch den lange und gründlich ausgespült.
Warten auf die Trauben
Die für die Weinherstellung verwendeten Maschinen, Tanks, Schläuche, Fässer und alle sonstigen Gerätschaften dürfen nur für die Produktion von koscherem Wein verwendet oder müssen vor ihrer Benutzung gründlich gereinigt werden, falls sie zuvor für nicht-koschere Zwecke genutzt wurden. So schreibt es die Halacha vor. Hofmeister hat all das getan, nun ist alles vorbereitet. Es kann losgehen. Die Männer warten auf die Trauben.
Winzer Achsʼ Handy klingelt. »Ach was!«, ruft er hinein, »na, so was!« Er schaut zu Hofmeister und sagt leicht genervt: »Es dauert noch a bissl, bis die Trauben kommen.«
Die beiden Männer nutzen die Zeit, um in den Weinkeller zu gehen. Sie schauen, was es dort in nächster Zeit zu tun gibt. Neben Dutzenden Barrique-Fässern mit Wein, die der Winzer gekeltert hat, stehen dort auch einige versiegelte Fässer von Rabbiner Hofmeister. Der 2023er Merlot ist noch nicht in Eichenfässer gefüllt, er lagert in großen Kunststoff-Behältern am Rand, ebenfalls versiegelt.
»Es ist ein Spitzenwein«, schwärmt der Rabbiner über den letzten Jahrgang. »Aber er braucht noch drei bis vier Jahre, bis er sein Potenzial entfaltet hat. Dann ist er bestimmt lange trinkbar. Manche Aromen entfalten sich erst später. Ich denke, in acht Jahren ist er auf seiner Höhe.«
Viele Produzenten ließen den Wein bei der Gärung nur fünf bis sieben Tage auf der Maische liegen, sagt Hofmeister. »Aber ich habe Zeit, ich kann es mir leisten, ihn wochenlang dort liegen zu lassen, bis weit nach Sukkot.« Dies mache den Wein schwerer und aromatischer. »Manche Jahrgänge sind waldbeeriger, manche schokoladiger. Und wenn das Wetter kälter war während der Gärung im Maischtank, dann ist der Wein fruchtiger.«
Fragt man Thomas Achs, wie er Hofmeisters Wein geschmacklich findet, so lächelt er und sagt: »Nicht viel anders als meinen, es sind ja dieselben Trauben. Dass er koscher ist, schmeckt man ja nicht.«
»Diese Regeln sind sehr alt. Sie wurden Halacha und gelten bis heute«, sagt Rabbiner Schlomo Hofmeister.
Es ist kurz vor sechs. Endlich kommen die Trauben. Ein Traktor fährt in den Hof, auf dem Anhänger stehen fünf graue Plastik-Boxen mit je 400 Kilo kleiner dunkelblauer Trauben. Der Rabbiner nimmt sie in Augenschein. »Oh, die sind gut!«, sagt er und kostet. »Und süß!« Das werde sicher ein guter Wein. Mit hohem Alkoholgehalt.
»Ich und meine Angestellten nehmen die Trauben entgegen«, sagt Achs, »aber in den Rebler kippen darf sie nur der Rabbiner.« Denn beim Hineinkippen öffne sich die Schale – der Moment, in dem aus der Frucht ein Getränk wird. Ein Getränk, für das strenge halachische Regeln gelten.
Achs fährt mit seinem gelben Gabelstapler zum Traktor und schiebt die Gabelzinken unter die erste Box, hebt sie nach oben und fährt zum Rebler. Dort wartet der Rabbiner. Achs bremst ab, fährt langsam heran, bleibt stehen und öffnet das rechte Fenster des Gabelstaplers. Der Rabbiner steckt seine Hand in die Fahrerkabine und bedient die Steuerhebel: Mit seinen Handgriffen am Steuerhebel kippt er – ein Jude, der den Schabbat hält – die Box aus und manövriert die blauen Trauben in den Rebler. Wenn ab jetzt weiterhin ausschließlich er den Prozess der Weinherstellung betreut, dann kann es ein koscherer Wein werden. Das wissen alle auf dem Hof. Und halten sich deshalb vom Wein des Rabbiners fern.
Winzer Achs holt mit dem Gabelstapler der Reihe nach die vier weiteren grauen Boxen mit den Trauben, fährt langsam zum Rebler, und immer wieder steckt der Rabbiner seine Hand durchs rechte Fenster, um die Steuerhebel zu greifen, sodass er es ist, der die Trauben in den Rebler kippt. Viermal wiederholt sich die Prozedur.
Nachdem die letzte Box ausgekippt, die Trauben gerebelt und gepresst sind und die Maische in den Tank gepumpt ist, verschließt der Rabbiner den Maischtank und versiegelt ihn mit Panzerband. Zweimal. Niemand wird sich daran zu schaffen machen, bis er in einigen Wochen wieder nach Gols kommt. In der Hoffnung auf einen guten Jahrgang.