Eigene Rabbiner, eigene Schulen und Synagogen – Südafrikas jüdische Gemeinschaft ist autark, anders als die meisten anderen Gemeinden in Afrika. Doch bei der Koscherzertifizierung setzen die Händler zunehmend auf den Hechscher aus Übersee. Das hat praktische Gründe.
Seit einigen Wochen streiten sich Lebensmittelproduzenten und die südafrikanische Union of Orthodox Synagogues (UOS). Traditionell ist das Kaschrut-Büro der UOS mit Niederlassungen in Kapstadt und Johannesburg für die Zertifizierung koscherer Lebensmittel zuständig. Doch kürzlich wurden Vorwürfe von »Preistreiberei« und »purer Gier« laut.
Gebühren Angestoßen hatte den Disput der Süßwarenhersteller George Georghiou aus der Hauptstadt Pretoria. Seine Eiscreme- und Schokoladenfabrik sollte der UOS für ihren Koscher-Stempel plötzlich sechsmal so viel zahlen wie im Jahr zuvor, erzählt er der Jüdischen Allgemeinen. Weil er sich weigerte zu zahlen, habe ihm das Johannesburger Beit Din das Koscher-Zertifikat entzogen.
Die UOS erklärte: »Hier geht es keineswegs um einen Anstieg der Beit-Din-Gebühren«, sagt Rabbiner Dovi Goldstein, sondern der Süßwarenhersteller habe »über Jahre« koschere Praktiken missachtet, weshalb man sich gezwungen sah zu handeln.
Doch schon kurz darauf folgte eine Welle an Beschwerden jüdischer Unternehmer, die sich von den »exorbitanten Preisen« ähnlich überrumpelt fühlten. Die gestiegenen Koscher-Gebühren müssten sie dann an ihre Kunden weitergeben. »Es ist nicht fair, dass koscheres Essen zu einem Luxus wird, den sich nur Reiche leisten können«, sagt eine Händlerin aus Johannesburg dem Radiosender ChaiFM.
kosten Die Café-Inhaberin Elana Godley klagt, das Anbieten koscherer Speisen koste sie jeden Monat umgerechnet mehr als 1000 Euro. Ein weiterer Unternehmer berichtet, dieses Jahr für eine Koscher-Zertifizierung zum Pessachfest umgerechnet 2500 Euro bezahlt zu haben. Was auch schmerze: Eine Halal-Zertifizierung koste nur einen Bruchteil.
Seit dem Ende der Apartheid 1994 zählt Südafrika in Sachen Religionsfreiheit zu einem der fortschrittlichsten Länder.
Seit dem Ende der Apartheid 1994 zählt Südafrika in Sachen Religionsfreiheit zu einem der fortschrittlichsten Länder. Einige Konzerne am Kap verzichten auf Zutaten, an denen die jüdische oder muslimische Minderheit Anstoß nimmt. So entfernte eine Fast-Food-Kette Schweinespeck aus ihren Burgern.
Laut einer Umfrage der Universität Kapstadt ist jeder dritte jüdische Haushalt im Land koscher. »Doch die Kosten, die damit einhergehen, steigen immer mehr«, sagt der Kapstädter David Jacobson. Viele Unternehmen reagieren darauf, indem sie sich den Hechscher aus Übersee holen statt von der eigenen Kaschrut-Behörde.
Etliche jüdische Händler bekommen ihr Zertifikat inzwischen aus London. Und ein Milchverarbeiter berichtet dem »Jewish Report«, er arbeite nun mit »Montreal Kosher« in Kanada zusammen. Den jüdischen Verantwortlichen in Südafrika wirft er »fehlendes Engagement« vor.
Beit Din Beobachter sehen Südafrikas Beit Din in der Krise. Zwar hält die UOS fest: »Wir schicken niemanden weg, wenn er sich die volle Gebühr nicht leisten kann«, und man sei als Non-Profit-Organisation ohnehin nicht an Gewinn interessiert.
Doch scheint die Krise wachzurütteln. So leiteten die Verantwortlichen eine Untersuchung ein und versprachen, in Hinblick auf ihre Preispolitik künftig Rat von Experten einzuholen. Zudem gibt es ab Dezember eine neue Kategorie für Kleinstunternehmen: Für sie gebe es einen Hechscher dann schon ab 28 Euro, abhängig von der Größe des Geschäfts und der Anzahl koscherer Produkte.
Im Streit zwischen der UOS und dem Eiscremeproduzenten Georghiou kommen diese Schritte zu spät. Der Unternehmer hat die Kaschrutbehörde wegen unlauterer Geschäftspraxis bei Südafrikas Wettbewerbsaufsicht angezeigt − und die UOS drohte, ihn wegen Rufschädigung zu verklagen.