Es sieht aus wie nach einem Bombeneinschlag. Zerstörte Häuser, überschwemmte U-Bahn-Tunnel, umgestürzte Bäume: Sturm »Sandy« brachte der amerikanischen Ostküste starke Winde mit einer Geschwindigkeit von bis zu 140 Stundenkilometern, elektrische Feuer und Sturmfluten. Der Hurrikan, von vielen »Frankenstorm« genannt, legte die New Yorker Finanzmärkte lahm, führte zu Massenevakuierungen und Schulschließungen. Mindestens 55 Menschen starben. Der materielle Schaden wird auf 20 Milliarden Dollar geschätzt. Mehr als acht Millionen Menschen in mehreren Bundesstaaten waren oder sind ohne Strom. In neun Staaten wurde der Notstand ausgerufen.
flut Die jüdischen Gemeinden im Großraum New York traf es schwer. Medien berichteten von zweieinhalb Meter hohen Wellen in Manhattan Beach, einer Gegend im Stadtteil Brooklyn, während in Sea Gate am westlichen Zipfel von Coney Island, wo einige Hundert jüdische Familien leben, ganze Häuser in sich zusammenfielen. Ein junges jüdisches Paar in Brooklyn, das mit seinem Hund unterwegs war, wurde von einem herabfallenden Baum erschlagen, Familien verloren ihr Zuhause. Viele Juden waren unsicher, wo sie den Schabbat verbringen würden, denn etliche Synagogen wie die in Bayswater und der West End Temple in Neponit sind zerstört, überflutet oder ohne Strom.
In der Mazel Academy in Brighton Beach im südlichen Brooklyn zerstörten die Wassermassen nicht nur sämtliche Bücher, Möbel und Computer, sondern auch sechs Torarollen, die allein mehrere Hunderttausend Dollar wert sind. »Viele Seiten sind nicht mehr zu reparieren, das bricht mir das Herz«, sagt Rabbiner Avremel Okonov, der Direktor der Schule.
In Teilen von Manhattan, die von Sandys Zerstörungswut größtenteils verschont blieben, sind Benzinknappheit und Stromausfall das größte Problem. »Haushaltskerzen und Campinglichter waren schnell ausverkauft, so musste ich mit großer innerer Überwindung zu Votivkerzen greifen«, erzählt die New Yorkerin Bonnie Winkelman. Die meisten der jüdischen Einrichtungen entlang des sogenannten Nordost-Korridors von Boston bis Washington blieben während des Sturms geschlossen.
Für kurze Zeit wirbelte »Sandy« auch das politische Leben im Land durcheinander. Der Wahlkampf kam zum Stillstand – eine Woche vor der Entscheidung. Statt über liberale oder konservative Ideen, Steuerkürzungen und Gesundheitsreformen zu debattieren, ging es plötzlich nur noch darum, Leben zu retten, Menschen zu schützen und füreinander da zu sein.
facebook Inmitten all des Horrors gibt es auch Geschichten, die anrühren und aufbauen. So wurde eine Barmizwa, die in einer sturmgeschädigten Synagoge stattfinden sollte, kurzerhand in ein nahe gelegenes Hotel verlegt, dessen Besitzer der Familie seine Räume zur kostenlosen Nutzung überließ. Ein Filmemacher rief Menschen über Twitter auf, seinen Eltern zu helfen, die in der oberen Etage ihres Hauses festsaßen – mit Erfolg.
Überhaupt wurden Social-Media-Instrumente zum kommunikativen Rettungsanker. Menschen verbanden sich mittels Facebook, um Hilfe anzubieten oder darum zu bitten, um Erfahrungen, Fotos und Tipps für den Zeitvertreib im Dunkeln auszutauschen oder einfach, um sich gegenseitig Mut zu machen.
spenden Der Welle der Zerstörung folgte eine Welle der Solidarität. Jüdische Verbände überall in Nordamerika errichteten Hurrikan-Notfonds, um den Sturmopfern zu helfen. Die Dachorganisation Jewish Federations of North America hatte innerhalb von 24 Stunden über ihre Spenden-Hotline mehr als 43.000 Dollar aufgebracht.
Auch die Zahl der freiwilligen Helfer innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ist überwältigend. Synagogen, Organisationen wie Repair the World, Uri L’Tzedek, JCorps und Occupy Judaism sowie zahlreiche individuelle Helfer stellten sich zur Verfügung, um Sandys Opfer, die überall in der Stadt im Kalten und Dunkeln sitzen, mit Kerzen, Batterien, Taschenlampen, Wasser und Lebensmitteln zu versorgen.
Ein Wermutstropfen: »Für viele, die helfen wollen, ist es schwer, überhaupt in die vom Sturm betroffenen Gebiete wie etwa zur Lower East Side zu gelangen«, sagt Bonnie Winkelman. Doch die Helfer geben nicht auf. Die New Yorker UJA-Federation sammelte für den Schabbat Hunderte von Challot, Rabbiner der Chabad-Lubawitsch-Zentren im Nordosten luden Bedürftige zum Kiddusch ein. Die Suppenküche »Masbia« in Brooklyn vervierfachte dank Spenden und zahlreicher Helfer die Zahl ihrer Mahlzeiten. Einige jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Gemeindezentren, die vom Sturm verschont blieben, dienen als Notunterkünfte für jüdische und nichtjüdische Bedürftige.
Die Jewish Claims Conference (JCC) richtete einen Hilfsfonds in Höhe von 250.000 Dollar ein, der speziell für Schoa-Überlebende bestimmt ist, die durch »Sandy« in Not geraten sind. Vertreter religiöser Bewegungen, einschließlich der Union of Reform Judaism, der Orthodox Union, des Conservative Movement und Chabad, sowie zahlreiche andere Organisationen wie B’nai B’rith International, die Association of Jewish Family and Children’s Services, Hillel und die JCC Association versuchen, den Umfang der Schäden zu ermitteln, für den Austausch von Informationen zu sorgen und Hilfsleistungen zu koordinieren – eine wegen der immer noch lückenhaften Strom- und Telefonversorgung nicht leichte Aufgabe.
Unter folgenden Internetadressen können Sie spenden:
www.ujafedny.org/hurricane-sandy-relief-fund
www.urj.org/socialaction/issues/relief/hurricanes
www.utzedek.org/donate.html