In den jahrelangen Streit um den millionenschweren Welfenschatz wird sich jetzt das Oberste Gericht der USA einschalten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hatte das Gericht angerufen, um zu klären, ob die US-Gerichte in dem Fall überhaupt zuständig sind - eine Zuständigkeit, die die aktuelle Besitzerin der Kunstwerke zurückweist.
SPK-Präsident Hermann Parzinger sagte, er freue sich, dass jetzt die Möglichkeit bestehe, dem höchsten amerikanischen Gericht vorzutragen, »weshalb wir der Ansicht sind, dass dieser Fall nicht vor ein amerikanisches Gericht gehört«.
Der Welfenschatz gilt als einer der bedeutendsten Kirchenschätze des Mittelalters. Die Stiftung sieht keine Grundlage für seine Rückgabe und hält die Klage für unbegründet. Auch Deutschland argumentiert, der Fall habe nichts mit internationalem Recht zu tun und die US-Gerichte hätten keine Zuständigkeit.
BEDEUTUNG Auch der Anwalt der Kläger, Nicholas O’Donnell, freute sich. Man habe nun die Gelegenheit, dem Supreme Court zur »wichtigen Frage, wie man Deutschland zur Verantwortung ziehen kann«, vorzutragen, sagte er. Der Fall des Welfenschatzes sei ein sehr »typischer Verstoß gegen internationales Recht«, so O’Donnell. Er kritisierte Deutschland dafür, dass es versucht habe, »bei Raubkunst den Klageweg zu versperren«. Dass dies jetzt vor dem Obersten Gericht der USA verhandelt werde, sei »von enorm wichtiger Bedeutung für die Holocaust-Opfer«, sagte O’Donnell der Jüdischen Allgemeinen.
Kritik übte der Anwalt nicht nur an Deutschland, sondern auch an der US-Regierung. Das State Department in Washington habe Deutschland jahrzehntelang bei dem Versuch unterstützt, die Rückgabe von NS-Raubkunst zu verhindern, sagte O’Donnell.
STATE DEPARTMENT Die Rechtsanwältin und Restitutionsexpertin Agnes Peresztegi sagte dieser Zeitung, es sei nicht ungewöhnlich, dass Fälle wie der des Welfenschatzes auch Fragen der Souveränität von Staaten berührten. Auch sie kritisierte das State Department für seine ablehnende Haltung, was die Zulässigkeit des Verfahrens vor US-Gerichten angehe. Der amerikanische Kongress habe vor ein paar Jahren nicht umsonst den HEAR Act und den JUST Act verabschiedet - Gesetze, die es ermöglichen sollen, dass Anträge auf Restitution im Zusammenhang mit NS-Raubkunst von US-Gerichten angehört und die Einhaltung der Washingtoner Erklärung von 1998 durch die Unterzeichnerstaaten überprüft werden könnte.
»Das State Department sollte deshalb nicht den Versuch unternehmen, Rückübertragungs-Anträge von den US-Gerichten fernzuhalten,« sagte Peresztegi. Die Gerichte sollten vielmehr in der Sache ein Urteil sprechen können.
GÖRING In dem seit 2008 andauernden Restitutionsverfahren geht es um mehr als 40 Objekte des ursprünglich sehr viel umfangreicheren Schatzes, den das Welfenhaus 1929 verkauft hat. Die Erben der jüdischen Händler, die 1935 den Schatz an den preußischen Staat verkauften, der damals von Hermann Göring geführt wurde, halten den Verkauf für NS-verfolgungsbedingt und fordern deshalb seine Rückgabe. Sie taxieren den Wert der Exponate heute auf 220 bis 260 Millionen Euro.
2015 reichten Rechtsanwälte im Auftrag der Erben eine Klage auf Herausgabe des Schatzes bei einem US-Gericht ein. Zwei Jahre später argumentierte ein Gericht in Washington, dass Restitutionsklagen in Bezug auf das Dritte Reich vor amerikanischen Gerichten verhandelt werden könnten, da die Enteignung von Juden durch die Nazis Teil des Genozids an den Juden gewesen sei. 2018 entschied ein Berufungsgericht, dass sich die Klage nur gegen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz richten könne, nicht aber gegen die Bundesrepublik Deutschland als Staat.
Der Welfenschatz umfasst kostbare Altaraufsätze, Schmuckkreuze und Schreine aus dem Braunschweiger Dom. Die Goldschmiedearbeiten aus dem 11. bis 15. Jahrhundert gelangten 1671 in den Besitz des Welfenhauses. Die Stiftung hat die 44 Goldreliquien seit der Nachkriegszeit in ihrer Obhut. Die Nachfahren der früheren Besitzer gehen davon aus, dass die Objekte ihren Vorfahren von den Nazis nur scheinbar legal weggenommen wurden. Nach deutschem Recht wäre ein Verfahren wegen Verjährung nicht möglich.
Für den Fall, dass eine Zuständigkeit von US-Gerichten erkannt werden sollte, will die von Bund und Ländern getragene SPK auch geklärt wissen, ob die Streitigkeit dennoch nicht besser vor einem deutschen Gericht auszutragen wäre. Das amerikanische Justizministerium habe die Rechtsauffassung der Stiftung unterstützt, hieß es von Seiten der Stiftung.
2019 wandte sich die SPK an den Obersten Gerichtshof mit der Frage, ob die Klage gegen sie in den USA überhaupt zulässig sei. Der Supreme Court bat daraufhin den »Solicitor General«, der die Regierung vor Gericht vertritt, um eine Stellungnahme. Der Welfenschatz umfasste als ursprünglicher Kirchenschatz der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig früher rund 140 mittelalterliche Stücke. Nur ein Teil davon ist momentan im Besitz der SPK. Einige Exponate sind im Berliner Kunstgewerbemuseum ausgestellt.
Der Supreme Court wird sich auch noch mit einem weiteren Fall von NS-Raub befassen. Darin geht es um ungarische Holocaustüberlebende, die auf Entschädigung für den Diebstahl von Wertgegenständen klagen, die ihren Familien bei der Deportation in die NS-Todeslager entwendet wurden. (mit epd, dpa)