Mehr als 150 Frauen aus 24 Ländern: Die 14. Europäische Konferenz des International Council of Jewish Women (ICJW) tagte am vergangenen Wochenende im Berliner Centrum Judaicum. Das Motto lautete »Mauern durchbrechen – jüdisches Leben bewahren«. 100 Jahre nach Gründung des ICJW in Rom durch Repräsentantinnen jüdischer Frauenorganisationen aus den USA, Großbritannien und Deutschland trafen sich Vertreterinnen europäischer Gruppen, um sich »mit den Auswirkungen des politischen und sozialen Umbruchs nach 1990 auf das heutige jüdische Leben in Europa« zu befassen. Im Fokus standen dabei aktuelle Themen wie Migration, Integration, der Wiederaufbau von jüdischem Leben und jüdischen Strukturen in Europa – all das betrachtet aus der Perspektive jüdischer Frauen. Mit dabei: Gäste aus Israel, Südafrika, Australien, Süd- und Nordamerika.
bewusstsein Interessant war zu beobachten, wie sehr zwei Schlüsselfiguren der Geschichte des jüdischen Feminismus bis heute Bezugspunkte der Diskussion bilden: zum einen die deutsch-österreichische Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, die als Sigmund Freuds Patientin »Anna O.« über die jüdische Welt hinaus Berühmtheit erlangte. Sie war es, die Anfang des 20. Jahrhunderts einerseits politisches Bewusstsein für das Problem des Menschenhandels mit jungen Jüdinnen aus Osteuropa weckte und andererseits ganz praktisch durch die Errichtung von Mädchenwohnheimen nach Lösungen suchte. Pappenheim gründete 1904 den Jüdischen Frauenbund und war viele Jahre dessen Vorsitzende. Als 1912 der ICJW ins Leben gerufen wurde, wurde sie zu dessen erster Präsidentin gewählt.
Zum anderen ist da die Berliner Rabbinerin Regina Jonas, die 1935 als weltweit erste Frau ihre Smicha erhielt. Trotz ihrer Ordination blieb ihr eine Anstellung als Rabbinerin verwehrt. Obwohl das Reformjudentum in Deutschland entstand, war in den jüdischen Gemeinden eine Frau als Rabbinerin höchst umstritten, zumal eine, die sich selbst als orthodox verstand. Nachdem Jonas 1944 in Auschwitz ermordet worden war, geriet sie, anders als Bertha Pappenheim, zunächst fast völlig in Vergessenheit. Dennoch stehen beide Frauen symbolisch für die Rolle, die Jüdinnen in Deutschland für die Frauenemanzipation im Judentum einst spielten – und die durch die Schoa ein brutales Ende fand.
Die israelisch-amerikanische Juristin Sharon Shenhav, Direktorin des International Jewish Right’s Project, schuf in ihrem Workshop über jüdische Frauenrechte eine Verbindung von Bertha Pappenheims damaligem Kampf gegen den Mädchenhandel zur heutigen Zwangslage von Agunot – jüdischen Frauen, denen von ihren Ehemännern die Zustimmung zu einer Scheidung verweigert wird. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen verwies Shenhav auf die deutschen Wurzeln der amerikanischen Vertreterinnen bei der Gründung des ICJW: »Viele amerikanische Jüdinnen oder deren Eltern stammten aus Deutschland. Sie waren wie Pappenheim besorgt über den Mädchenhandel und beschlossen, eine internationale Organisation zu gründen.«
urmutter Für Shenhav ist Pappenheim gewissermaßen die Urmutter des jüdischen Feminismus: »Sie war eine Feministin, bevor irgendjemand Feministin war.« Heute können Frauen, jüdische Frauen, Rechtsanwältinnen werden – Pappenheim konnte das nicht. In Israel seien heute mehr als die Hälfte der Richter Frauen, so Shenhav. Doch bis dahin sei es ein weiter Weg gewesen. So habe sich noch Golda Meir im Kibbuz sagen lassen müssen, sie gehöre als Frau in die Küche.
Im Workshop zu jüdischen feministischen Gruppen in Europa bemühten sich die französische Autorin Nelly Las und Lara Dämmig, Mitbegründerin des Berliner Vereins Bet Debora, um einen historischen Vergleich der Entwicklungslinien in verschiedenen Ländern. Bei allen Unterschieden zwischen etwa Deutschland, den USA und Frankreich waren es vor allem die Gemeinsamkeiten, die dabei auffielen: zum Beispiel, wie sich jüdische Feministinnen in nichtjüdischen Frauenorganisationen aufgrund des dort herrschenden Antisemitismus und Antizionismus unwohl gefühlt hätten. Oder wie viel man innerhalb und außerhalb der jeweiligen jüdischen Gemeinschaften erreicht habe. Besorgt sind sie darüber, wie sehr das Erreichte durch das Desinteresse jüngerer Jüdinnen an der Verteidigung dieser Errungenschaften bedroht sei.
Alter Überhaupt, die Generationenfrage: Es war auffällig, dass das Durchschnittsalter der Konferenzteilnehmerinnen um die 60 Jahre lag. Jüngere Gesichter waren kaum zu sehen. Ob das an einem allgemein gesunkenen Interesse an feministischen Fragen unter jungen Frauen liegt oder eher speziell mit der Organisationsform und Arbeitsweise des ICJW als Dachverband zusammenhängt, bleibt unklar.
Dennoch war Cornelia Maimon Levi, als heutige Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland Hauptorganisatorin der Konferenz, zufrieden: »Die Frauen sind mit gemischten Gefühlen nach Berlin gekommen«, verwies sie auf die Tatsache, dass Berlin und Deutschland nicht nur Ausgangspunkte des jüdischen Feminismus, sondern auch der Schoa sind. »Aber alle interessieren sich sehr für das heutige Berlin und Deutschland.«