So harmlos, wie das Gesetz klang, hätte es eigentlich geräuschlos den Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, passieren sollen: »Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung«. Doch der Gesandte der US-Botschaft in Warschau hatte aufgepasst.
Kurz vor der Abstimmung sandte er einen Brandbrief an die Sejm-Vorsitzende Elzbieta Witek. »Stoppt dieses Reprivatisierungsgesetz!« Doch Witek ignorierte das Schreiben und ließ abstimmen. Mit 309 Ja-Stimmen, 120 Enthaltungen und keiner einzigen Nein-Stimme nahmen Polens Abgeordnete das Gesetzesprojekt vergangene Woche an.
PROTEST Israel, mit dem Polen seit dem Holocaust-Zensur-Gesetz nicht gerade die besten Beziehungen hat, protestierte offiziell nach der Abstimmung. Jetzt ist es in der Hand des Senats, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, das Gesetzesprojekt noch zu kippen oder aber durchzuwinken.
Brisant an diesem Gesetzesprojekt ist die Verjährungsfrist für staatliches Unrecht. Nach 30 Jahren sollen demnächst Ansprüche auf Eigentumsrückgabe oder Entschädigung für verstaatlichtes Vermögen verjähren. Zwar klingt die Formel »nach 30 Jahren« nach einer vernünftigen und gerechten Lösung, vor allem, wenn man die bisherige Rückgabepraxis in Polen und ihre mafiösen Strukturen berücksichtigt. Zudem würde die Verjährung alle polnischen Staatsbürger treffen, die ihre Häuser, Wohnungen, Fabriken oder Werkstätten im Zweiten Weltkrieg oder unmittelbar danach durch Enteignung verloren haben.
Doch bislang waren die in Polen lebenden Staatsbürger klar im Vorteil gegenüber Klägern, meist polnischen Juden, die im Ausland leben. Denn für die Kläger in New York, Los Angeles oder Tel Aviv war es kaum möglich, kurzfristig vor Gericht in Warschau oder Krakau zu erscheinen oder innerhalb einer kurzen Frist ein bestimmtes Dokument zu besorgen und den polnischen Behörden vorzulegen.
reprivatisierungsgesetz Über die Jahre wurden die Regierungen der USA und Israels, wo die meisten polnisch-jüdischen Überlebenden der Schoa und ihre Nachkommen leben, immer wieder auf ein Reprivatisierungsgesetz vertröstet, das eine Entschädigung von zehn bis 20 Prozent des verstaatlichten Eigentums vorsehen sollte. Doch dazu kam es nie.
Als einziges postkommunistisches Land in der EU hat Polen kein Reprivatisierungsgesetz verabschiedet. Experten zufolge liegt dies an den großen Minderheiten, die in der Vorkriegszeit in Polen lebten. Insgesamt machten sie rund 30 Prozent der gesamten Bevölkerung aus, darunter rund 3,5 Millionen Juden, das waren zehn Prozent der Einwohner Polens.
Nach dem Krieg eigneten sich polnische Bürger und der Staat die Immobilien der von den Nazi-Deutschen ermordeten rund drei Millionen Juden an. 1946 nahmen sie sich die Häuser und Wohnungen der rund 200.000 Holocaust-Überlebenden, die nach dem Pogrom von Kielce panikartig aus Polen flüchteten. Und 1968, als Tausende Juden nach der antisemitischen Hetzkampagne der Kommunisten das Land verlassen mussten, gingen die jüdischen Immobilien erneut in polnisches Eigentum über. Dies alles soll nun verjährt sein.
SORGE Israels Botschaft in Warschau erklärte auf Twitter: »Die Erinnerung an die Schoa und die Sorge um die Rechte der Überlebenden, die auch die Frage der Rückgabe des während der Schoa beschlagnahmten jüdischen Eigentums einschließt, sind Schlüsselelemente der Identität und untermauern die Existenz des Staates Israel. Die anstehende Gesetzesänderung wird es faktisch unmöglich machen, jüdisches Eigentum zurückzugeben oder eine Entschädigung zu verlangen. Dieses unmoralische Gesetz wird die Beziehungen zwischen unseren Ländern ernsthaft beschädigen.«
Auch Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, protestierte sofort: »Dieses Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht des noch verbliebenen polnischen Judentums und der Überlebenden des Nazi-Terrors.«
In den nächsten Wochen wird der Senat das Gesetzesprojekt beraten. Im Internet ist derweil eine hässliche polnisch-antisemitische Debatte entbrannt, die sich so schnell nicht zu beruhigen scheint.