Wieder einmal macht die Wallonie international von sich reden: Zum 1. Juni 2018 soll unbetäubtes Schlachten in der belgischen Region verboten werden. Dafür stimmten Anfang Mai die Mitglieder der Parlamentskommission für Umweltfragen. De facto soll es eine rund einjährige Übergangsperiode geben, die am 1. September 2019 – nach Ende des muslimischen Opferfests – ausläuft. Am Mittwoch stimmten auch die Abgeordneten des wallonischen Parlaments mehrheitlich für die Novelle.
Erst vor wenigen Wochen einigten sich in Belgiens nördlicher Region Flandern die Parteien der Mitte-Rechts-Koalition auf eine Gesetzesinitiative, nach der ab 2019 für das Schlachten von Schafen eine elektrische Narkose verpflichtend wird. Da diese Technik für Rinder noch nicht hinreichend entwickelt ist, werden die Tiere künftig unmittelbar nach dem Halsschnitt betäubt. Vor der Sommerpause soll das Parlament über den Entwurf abstimmen.
Im Herbst vergangenen Jahres hatten die flämischen Abgeordneten einen früheren Entwurf noch abgelehnt. Der jetzige entstand auf Vermittlung des regionalen Bauernverbands. Ursprünglich sollte das neue Gesetz in Abstimmung mit der jüdischen und der muslimischen Gemeinschaft ausgearbeitet werden – ein Plan, der offensichtlich gescheitert ist, denn die Initiativen beider Regionen sorgen für scharfe Proteste.
Religionsfreiheit Brüssels Oberrabbiner Albert Guigui appellierte bei einem Treffen der Europäischen Rabbinerkonferenz vergangene Woche in Amsterdam an den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermans: »Wir bitten Sie als unser Freund und Verbündeter, sich diesem Kampf, der ein Kampf für die Religionsfreiheit ist, anzuschließen.«
»Skandalös« nennt Moshe Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), den wallonischen Beschluss, der im Widerspruch zur EU-weit garantierten Religionsfreiheit stehe. »Dieser Entschluss im Herzen Westeuropas schickt eine furchtbare Botschaft an jüdische Gemeinden auf dem Kontinent: dass Juden nicht erwünscht sind.« Der EJC wolle nicht ruhen, bis das Verbot rückgängig gemacht werde.
Verfassung Auch Philippe Markiewicz, Präsident des Consistoire Central Israélite de Belgique, zeigt sich von den Entwicklungen schockiert. Er betont, die Verfassung garantiere das Recht auf freie Religionsausübung. »Die jüdische Gemeinschaft hat immer eine Lösung gefunden in Belgien. Nun scheint es erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg, als gebe es keine mehr. Trotzdem wollen wir weiter verhandeln.« Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen sagte Markiewicz, man fordere einen dreimonatigen Aufschub, um wissenschaftliche Beweise vorzulegen, die für die Schechita sprechen.
Michael Freilich, Chefredakteur der in Antwerpen erscheinenden jüdischen Zeitschrift Joods Actueel, hofft, dass sich eine Ausnahmeregelung für die jüdische Gemeinschaft Belgiens erreichen lässt. Doch er warnt, die geplanten Gesetzesänderungen könnten ein erster Schritt sein, die Juden aus Belgien zu vertreiben. »Wenn wir als Nächstes kein koscheres Fleisch mehr einführen dürfen, wäre es vorbei mit der jüdischen Gemeinschaft in diesem Land. Die meisten Menschen verstehen nicht, wie fundamental das die jüdische Gemeinschaft trifft.«
Eine Notlösung könnte ausgerechnet die komplexe politische Struktur des Landes bieten. In der dritten Region nämlich, die der zweisprachigen Hauptstadt Brüssel, ist von einem Schächtverbot bislang nicht die Rede. »Brüssel hat einen hohen muslimischen Bevölkerungsanteil«, erklärt Freilich. »In dieser Legislaturperiode wird man sich wohl nicht mehr damit beschäftigen. Zunächst könnten wir also noch in Brüssel schlachten.«