Antisemitismus

»Weckruf an die Zivilgesellschaft«

Polizisten sichern die Synagoge Agudas Achim in Zürich- Wiedikon Foto: picture alliance/KEYSTONE

Anfang März wurde in Zürich ein orthodoxer Jude bei einem Messerangriff lebensgefährlich verletzt. Es war die schlimmste antisemitische Gewalttat in der Schweiz seit Jahrzehnten. Und sie kommt angesichts der Zunahme antisemitischer Taten wenig überraschend.

Am Dienstag legte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) seinen Jahresbericht für 2023 vor – und schlug Alarm: Noch nie hat ein Ereignis in Nahost einen so starken Anstieg judenfeindlicher Vorfälle in der Schweiz ausgelöst wie der 7. Oktober.

Die von SIG und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) erhobenen Zahlen für das Vorjahr konstatieren einen Anstieg gemeldeter antisemitischer Vorfälle in der »realen Welt«, Online ausgenommen, von 98 auf 155, ein Anstieg um mehr als 50 Prozent. Noch bemerkenswerter: Drei Viertel davon wurden im letzten Quartal, nach den Terroranschlägen der Hamas auf Israel am 7. Oktober, verzeichnet. Bei den registrierten Fällen im Internet waren es 47 Prozent.

Besonders dramatisch fiel der Anstieg der direkten Übergriffe auf jüdische Personen aus: War es in den Vorjahren nur einer oder gar keiner, verzeichnet der SIG-Bericht für 2023 nun zehn solcher Tätlichkeiten, sieben davon nach dem 7. Oktober.

Auch bei Schmierereien und judenfeindlichen Plakaten zeigt sich ein enormer Anstieg: 42 solcher Schmierereien wurden 2023 registriert (2022: 9) und 10 antisemitische Plakate oder Banner (2022: 1). Einen kleinen Lichtblick gab es dennoch: 2023 wurden keine Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit Judenhass gemeldet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Im Internet war der Anstieg nicht ganz so stark: Die Zahl antisemitischer Anfeindungen im Netz stieg von 910 im Jahr 2022 auf 1130 in 2023 an. Der größte Teil entfällt laut SIG weiterhin auf den Messengerdienst Telegram, wo zwei Drittel aller Fälle registriert wurden. Offener Antisemitismus sei auf Telegram meist ungehindert möglich, ohne dass gelöscht und die User gesperrt würden.

Der SIG wies in seiner Pressemitteilung darauf hin, dass der Inhalt der antisemitischen Schmierereien und auch Zuschriften mit Todesdrohungen und Vernichtungsfantasien »eine in der Schweiz noch nicht gekannte Heftigkeit erreicht« habe. Zwar hätten auch schon früher Ereignisse in Nahost eine Triggerwirkung im Hinblick auf Antisemitismus entfaltet. Die Terroranschläge vom 7. Oktober und der dadurch ausgelöste Gazakrieg hätten aber im Vergleich dazu »eine regelrechte Antisemitismuswelle ausgelöst«, so der Dachverband der jüdischen Gemeinden in der Schweiz. Der »israelbezogene Antisemitismus« habe mittlerweile einen Anteil von 20 Prozent aller registrierten Fälle.

Es seien sowohl rechts- und linksextreme und Personen, die politisch in der Mitte der Gesellschaft verortet seien, getriggert worden. »Hier agiert weiterhin jene staats- und gesellschaftsfeindliche sowie verschwörungsaffine Subkultur, in der Antisemitismus fast unwidersprochen ausgelebt wird. Dieser passt sich in Inhalt und Erscheinung jeweils den gerade aktuellen Themen an, sei dies Corona, der Ukrainekrieg oder zuletzt eben der Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas«, so der SIG.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Sich als Jude in der Öffentlichkeit zu erkennen zu geben, sei mittlerweile auch in der Schweiz nicht mehr so einfach. Gesellschaftspolitisch, erklärte der Dachverband, sei das nicht akzeptabel. Er forderte eine »Zäsur in der schweizerischen Politik der Antisemitismusbekämpfung«. Die Messerattacke von Zürich müsse als Weckruf verstanden werden, und die Zivilgesellschaft müsse mit »Gegenrede, Zivilcourage und Dialog« reagieren.

»Es braucht dringend mehr staatliches Engagement beim Monitoring von Antisemitismus und Rassismus. Es braucht endlich eine rechtliche Handhabe gegen Hassrede. Es braucht den Willen, auf Social-Media-Plattformen einzuwirken, damit diese die Verbreitung von Hass unterbinden. Generell braucht es eine klare Strategie des Bundes gegen Antisemitismus, hier muss die Politik die Diskussionen beschleunigen. Schließlich braucht es ein deutliches Zeichen gegen Nazi-Symbole, die dieses Jahr zahlreich an Hauswänden aufgetaucht sind. Hier muss das Parlament auf eine rasch umsetzbare und konstruktive Spur zurückkommen und eine uferlose Debatte vermeiden«, erklärte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund. mth

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025

Griechenland

Restauration des Grauens

In Thessaloniki werden zwei Eisenbahnwaggons aus der Nazizeit restauriert. Zur Erinnerung daran, was 50.000 Menschen angetan wurde

von Wassilis Aswestopoulos  24.04.2025

Tod von Papst Franziskus

Warum Israels Regierung nicht kondoliert hat

Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  23.04.2025